Lassen Sie mich die Welt etwas verrücken

Trier · Verrückter oder Visionär? Ob Don Quijote gegen Windmühlen kämpft oder die Fantasie vor die Realität rückt, liegt im Auge des Betrachters. Jedenfalls liefert Gerhard Weber mit dem Musical "Der Mann von la Mancha" im Theater Trier ein ernsthaftes Stück, befreit von jeglichem Kitsch.

Trier. Er siegt. Zieht alle auf seine Seite. Keiner, der ihm nicht die Daumen drückt. Mit seinen strahlenden Augen, aus denen selbst in größter Bedrängnis Tapferkeit und Zuversicht auf eine bessere Welt leuchten. Hartmut Volle - bekannt aus dem Saarland-"Tatort" - ist ein Ritter von der traurigen Gestalt, der Mut macht, voller Visionen, voll Überlebenswillen. Einer, der keine großen Gesten braucht, um auf der großen Bühne im Theater Trier zu bestehen.
Volle schlüpft problemlos von der Rolle des Dichters Miguel de Cervantes in die des Don Quijote im Musical "Der Mann von la Mancha" von Dale Wassermann und Mitch Leigh (Musik). Dazu braucht er keine komplette Rüstung. Es sind Versatzstücke, die das Spiel im Spiel verdeutlichen: Perücke, Beinschiene, Manschette, Brustpanzer; ein Helm, Schwert und Lanze - fertig ist der Ritter (Kostüme Carola Vollath). Das erleichtert auch die Rückverwandlung. Volle zieht die Perücke ab und ist wieder Cervantes.
Ebenso rudimentär das Bühnenbild. Thomas Mogendorf hat ein aufs Wesentliche reduziertes Gefängnis gebaut, kalt und erbarmungslos, aber mit viel Spielraum für die Akteure, die stets im Kerker bleiben. Metallgitter bilden Gefängnismauern und Zellen zugleich, in, zwischen und hinter denen sich die Gefangenen bewegen - das Gitter setzt sich in deren Kleidung fort. Rost verleiht der Kulisse eine schäbige Note, zeigt, wie sehr die Insassen vernachlässigt, sich selbst überlassen sind.
So sehr, dass sie Selbstjustiz üben und sich auch Cervantes vorknöpfen. Genial auch das riesige Pferd - komplett aus Metallrosten gefertigt. Rosinante wirkt abgehalftert, zerbrechlich, zugleich aber auch robust, widerstandsfähig wie ihr Herr.
Neben Volle brillieren Matthias Stockinger und Nadine Eisenhardt. Als Sancho und Aldonza beweisen sie, warum sie bei Intendant Gerhard Weber erste Wahl in Musicals sind. Stockingers Sancho steht stolz hinter seinem Herrn, schützt und stützt ihn. Schnell wandelt er sich vom Diener zum Knappen. Auch ihm genügen kleine Gesten, um die Verbundenheit zu seinem Meister zu zeigen.
Mit spanischem Feuer

 Köchin, Hure und edle Dulcinea (Nadine Eisenhardt) und Kämpfer für eine bessere Welt: Don Quijote (Hartmut Volle, links) und Sancho Pansa (Matthias Stockinger). TV-Foto: Friedemann Vetter

Köchin, Hure und edle Dulcinea (Nadine Eisenhardt) und Kämpfer für eine bessere Welt: Don Quijote (Hartmut Volle, links) und Sancho Pansa (Matthias Stockinger). TV-Foto: Friedemann Vetter


Gesanglich überzeugt Stockinger sowohl in den Soli als auch im Duett mit Volle, dessen spröde Stimme perfekt zur zerrissenen Gestalt passt. Den schwierigeren, weil zwiespältigen Part zwischen Hure und Heilige hat Eisenhardt. Ihre Verzweiflung scheint greifbar, aber auch die Hoffnung. Ihre Stimme ist extrem wandelbar, mal lässt sie sie eisenhart klingen, mal schrill, dann wieder weich und zart.
Pawel Czekala als Gouverneur/Gastwirt überzeugt mit seinem kräftigen Bass und besonders mit seinen für Opernsänger erstaunlichen schauspielerischen Qualitäten. Ebenfalls stark: Markus Rührer als gnadenloser Herzog/Dr. Carrasco. Gesanglich gut aufeinander abgestimmt hat Weber die Rollen von Antonia, Haushälterin und Padre mit den Opernsängern Evelyn Czesla, Silvie Offenbeck und Svetislav Stojanovic. Auch die kleineren Parts sind stark besetzt: Marvin Rehbock als Pedro, Daniel Kröhnert als Anselmo, Jan Brunhoeber (Hauptmann), Jan Schuba (Barbier) und Tim Heisse (Juan). Mitglieder von Opernchor und Statisten vervollständigen das Ensemble.
Mit spanischem Feuer, gleichzeitig gefühlvoll, leitet Christoph Jung das 16-köpfige Orchester - Bläser, Percussion, Harfe und Gitarre. Herausragend die Kampfszene (Choreographie Alexander Ourth), der die Zuhörer im ausverkauften Haus Zwischenapplaus spenden. Das einzige Manko: Man hat nicht Augen genug, um all die detailliert ausgearbeiteten Szenen zu beobachten.
Insgesamt gelingt Weber eine kurzweilige Show. Ein Musical, das nicht nur unterhält, sondern zeigt, dass man die Welt nicht sehen kann, wie sie ist, sondern wie sie sein sollte, oder in Cervantes\' Worten: "Lassen Sie mich die Welt etwas verrücken." Was sein Sieg letztendlich wert ist, muss der Zuschauer selbst entscheiden.

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