Rezension Magischer Aufbruch zwischen den Zeiten

Es ist wie eine Episode aus einem finnischen Film. Eine Frau arbeitet in einer Zigarettenfabrik, sie muss darauf achten, dass der Tabakstrang gerade in den Zerteiler läuft. Abends sitzt sie rauchend auf ihrem Balkon mit Kunstrasen und schaut auf die Leuchtreklame einer Tankstelle.

 HANDOUT - 13.04.2021, ---: Cover des Buches «Daheim» von Judith Hermann. Das Buch erscheint im Verlag S.Fischer. (zu dpa: «Magisch: Judith Hermanns neuer Roman «Daheim»») Foto: S.Fischer/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit einer Berichterstattung über das Buch und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits +++ dpa-Bildfunk +++

HANDOUT - 13.04.2021, ---: Cover des Buches «Daheim» von Judith Hermann. Das Buch erscheint im Verlag S.Fischer. (zu dpa: «Magisch: Judith Hermanns neuer Roman «Daheim»») Foto: S.Fischer/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit einer Berichterstattung über das Buch und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits +++ dpa-Bildfunk +++

Foto: dpa/S.Fischer

Dort trifft sie eines Tages einen Mann, der sie als Assistentin haben will, für seinen Zaubertrick mit der zersägten Kiste. Der Zauberer und seine Frau wollen sie mit auf Kreuzfahrt nach Singapur nehmen. Daraus wird nichts. Eine Kurzgeschichte wäre hier zu Ende.

In Judith Hermanns „Daheim“ ist es der magische Auftakt für einen Roman, der gerade die deutsche Literaturkritik betört. „Sie ist nicht nur in Einklang mit ihren künstlerischen Mitteln. Sie ist im besten Sinne und in aller Stille und Eleganz auch auf der Höhe der Zeit“, hieß es im Deutschlandfunk über die 50-jährige Autorin. Viel war schon über Hermann zu lesen, Lobeshymnen und Verrisse.

Seit „Sommerhaus, später“, ihrem sensationellen Debüt von 1998, sind die Erwartungen hoch. Nach Erzählbänden wie „Nichts als Gespenster“ und „Alice“ erschien 2014 ihr erster Roman, „Aller Liebe Anfang“. „Daheim“ spielt nun gut 30 Jahre nach der Episode mit dem Zauberer. Die namenlose Ich-Erzählerin hat sich von ihrem Mann Otis getrennt, sie schreibt ihm kleine Briefe. Die beiden haben eine Tochter namens Ann, die es in die Ferne zieht. Die namenlose Protagonistin lebt am Meer, es ist wohl die Nordsee. Hermann selbst, langjährige Berlinerin, verbringt viel Zeit in Friesland, das merkt man. Es gelingen ihr wunderbar atmosphärische Beschreibungen einer Landschaft, die nach wilder Kamille, trockener Erde und Salz riecht.

Die Erzählerin des Buchs wohnt in einem Haus, das so einsam und windumtost ist, dass es nachts unheimlich ist. Ein Tier rumort auf dem Dach. Vielleicht ein Marder. Der Anblick der Marderfalle weckt Erinnerungen an die Zauberkiste. Im Hermann-Sound klingt das so: „Ich habe vor dieser Falle gestanden, und die Kiste ist zu mir zurückgekehrt wie ein Bild aus einem Traum, den du in der Nacht geträumt und am nächsten Morgen schon wieder verloren hast. Plötzlich, ganz leicht. Ein Gegenstand, der unter Wasser liegt, von etwas hochgedrückt wird und an die Wasseroberfläche kommt. Schwimmt. Ein Korken. Oder ein Tau.“ Vieles ist in der Schwebe. Jeder Satz, jede Beschreibung sitzt, viele Szenen bleiben hängen.

Es ist ein Buch über das Erinnern, das Aufbrechen und Ankommen, leicht, manchmal lustig, melancholisch und poetisch. Ganz sicher ist „Daheim“ einer der Romane des Jahres. Caroline Bock, dpa

Judith Hermann, Daheim, S. Fischer Verlag, 192 Seiten, 21 Euro.

(dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort