Lenin zum Geburtstag

BONN. Nach der Wiedervereinigung wurde die DDR-Kunst vernachlässigt, obwohl sie viele Qualitäten hat. Einen Querschnitt bietet derzeit eine Ausstellung in der Bundeskunsthalle in Bonn.

Ein Alpenpanorama am Königssee, davor traurige, in sich selbst versunkene Faschingsbesucher. Doch die herrliche Landschaft ist nicht Realität, sondern nur eine Tapete, 1981 im Rothenburger Bräustübl fotografiert. Und das "Rotheburger" Stübl ist nichts anderes als der "Rentnertreff der Volkssolidarität" in Ost-Berlin, auf einem Großfoto von Wolfgang Borchert: "Was mich an der Fotografie interessiert, ist eine Mitteilung zu machen, gerecht, genau und ohne Übertreibung, es ist Fotografie gegen das Verschwinden", sagt der Künstler zu seinen subversiven Bildern. Längst ist sie Vergangenheit geworden, die alte DDR. Mit Nostalgie, um nicht zu sagen, mit Wehmut, blicken manche schon zurück auf die einstigen grau verfallenden Städte, die bucklig rappelnden Kopfsteinpflaster und die läppischen Staatsphrasen, die immer einmal wieder in roten Plakaten und Transparenten für eine spärliche Farbzuteilung sorgten. Viele, die das Regime nicht mehr mitgemacht haben, beginnen nachzufragen. So ist es wohl auch zu erklären, dass 210 000 Besucher in drei Monaten in der Neuen Nationalgalerie in Berlin die Ausstellung "Kunst in der DDR" besuchten. Nun ist diese Ausstellung im äußersten Westen der Republik, in der Bonner Bundeskunsthalle angelangt. 270 Werke von 136 Künstlern (mit einem Frauenanteil unter zehn Prozent) führen durch die 44 Jahre der DDR. Der 1951 in Bitterfeld geborene und in der DDR aufgewachsene Kurator Eugen Blume hat die Werke sachkundig ausgesucht: die Realisten (Heisig, Mattheuer, Tübke) und die Poeten (Gerhard Altenbourg und Carlfriedrich Claus), die inneren Emigranten (wie die abstrakten und konstruktiven Künstler Hermann Glöckner und Horst Bartnig) und die vielen, vielen, die ihr Mäntelchen mehr oder weniger nach dem Wind hängen mussten. Blume wollte die gängigen Klischees vom platten Realismus im Arbeiter- und Bauernstaat vermeiden. Geschickt wird hindurchgesteuert, zwischen trotziger Dissidentenkunst und allzu oberflächiger Propagandakunst. Vielleicht ist nur Willi Sitte solch ein typischer Vertreter mit seiner 1969 gemalten "Hommage à Lenin", im traditionellen Stil eines Lovis Corinth. Intime Zeichnungen und vor allem auch die Fotografie, wie der oben beschriebene Christian Borchert (1942-2000) erweitern das Feld. Am Anfang dominiert ein konservativer Stil (kein abstrakter wie im Westen) bis in die 80er Jahre hinein, wo die Szene plötzlich aufzureißen scheint. So in der geballten Ladung, in der ein glühend orange-farbener Unmensch in der Umarmung einen tiefschwarzen Wolf ersticht. "Fünf nach vier" nennt sich das Trinkerbild von Klaus Killisch, auf dem der einsame Trinker in blauvioletten Farbschlieren versinkt. "Du musst doch bewaffnet sein," betitelt der 1949 in Potsdam geborene Hans Scheib seine bunt bemalte Holzfigur mit dem verkehrt gehaltenen Beil, und wie bei dem Amerikaner Keith Haring tummeln sich die Männeken im "großen Stadtbad" von Wolfgang Smy, 1952 in Dresden geboren. Man scheint sich nicht mehr um die Zensur zu kümmern. In diesem Saal des Aufbruchs hinterfragen schwarze Silhouetten auf gelbem Grund (von Cornelia Schleime) das Selbstverständnis der Künstlerin. Prophetisch und topmodern erscheint vieles in diesem "Vor-der-Wende-Saal". Regionale Schwerpunkte entstanden in der DDR durch den Einfluss der Kunsthochschulen. Da ist Dresden, das auch in den abgeschotteten Zeiten seine großartigen Kunstsammlungen zu bieten hatte, an denen die DDR-Künstler lernten, da ist das von alters her dem Realismus verpflichtete Berlin, und da ist Burg Giebichenstein bei Halle, wo der Bauarbeiter Albert Ebert nach dem Krieg die "Freude am Leben" in der Malerei wieder entdeckte. Da tut sich aber auch jene Nische auf, in der das verschwindend kleine Häufchen der Abstrakten sich zu behaupten suchte. 14 Jahre danach ist es wohl Zeit für eine solche Ausstellung, in der eine erste Distanz das emotionsgeladene Erleben relativiert. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Museumsmeile, Friedrich-Ebert-Allee 4, Bonn, Tel. (0228) 9171-0, Di. bis Mi. 10-21 Uhr, Do. bis So. 10-19 Uhr

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