Lieber Leithammel als Ölgötze

TRIER/WASSERLIESCH. Sage und schreibe 31 Jahre hat Jürg Huggler auf der Bühne des Trierer Theaters gestanden – eine Ewigkeit in diesem schnelllebigen Metier. Jetzt geht der Chorsänger, der sechs Intendanten (üb)erlebt hat, in den Ruhestand. Nicht, ohne sich seine Gedanken übers Theater zu machen.

Seinen Namen haben die meisten Trierer Theaterbesucher wahrscheinlich nie gehört. Aber übersehen haben können sie den untersetzten Mann mit dem verschmitzten Blick wohl kaum. Es gibt Chorsänger, die verstecken sich in der Menge. Und es gibt solche, die spielen selbst in der winzigsten Rolle immer einen Charakter. Von dieser Sorte ist Jürg Huggler. "Irgendwie hatte ich immer die Leithammel-Funktion", sagt der gebürtige Berner, der seine Herkunft vielleicht beim Singen, aber sicher nicht beim Sprechen verleugnen kann. Manche Kollegen stünden halt "wie die Ölgötzen" in der Szenerie und bräuchten eine gewisse Aufmunterung. Wenn Huggler das sagt, klingt das kein bisschen böse. Schweizer Charme kann schon ein großer Vorteil sein. Als er 1975 mit seiner Frau, damals aktive Ballett-Tänzerin, von Hof nach Trier wechselte, hieß der Intendant noch Manfred Mützel. Mit sechs Chefs hat er sich seither herumgeschlagen, bisweilen fast im Wortsinn, hatten ihn die Kollegen doch bald zum Chorvorstand und Personalrat gewählt. Gute Zeiten, schlechte Zeiten. Bewegte Zeiten vor allem. Und manchmal, sagt Jürg Huggler lächelnd, hätten sich vermeintlich schlechte Zeiten als durchaus gute entpuppt. Die Ära Kindermann beispielsweise. "Dieser Chaot", brummt Huggler, der sich als Demnächst-Ruheständler Ehrlichkeit leisten kann. Aber manchmal "sehnt man sich nach ihm zurück". Vor allem, wenn der Chor dieser Tage mal wieder das Gefühl hat, dass er im Haus am Augustinerhof das fünfte Rad am Wagen ist. "Früher hatten wir viel mehr zu tun", erzählt Huggler, und es ist keine Nostalgie. Er zeigt einen Spielplan aus dem Jahr 1981, wo der Chor gleichzeitig in fünf großen Produktionen eingesetzt war. "Damals war unser Job spielen, spielen, spielen, heute ist er proben, proben, proben". Zu den Regisseuren hat er ein ganz besonderes Verhältnis. Vor allem für die Jüngeren sei das Inszenieren oft "eine Aufarbeitung persönlicher Komplexe". Man müsse, grinst er, "nur mal sehen, wie oft bei der Premiere die eigens angereiste Mama des Regisseurs im Publikum sitzt". Aber Huggler ist kein Verfechter biederer Aufführungen. Er will gefordert werden, auch wenn es mal hart für den Chor wird. Wie einst bei Hindemith, wo man wilde Orgien auf der Bühne feierte. Oder bei den "Rheinnixen", die "uns ziemlich an die Grenze gebracht haben". Aber daran erinnert er sich lieber als an altbacken-alberne Operetten-Inszenierungen früherer Tage, "die uns manchmal furchtbar peinlich waren". Seine Bereitschaft, mitzuspielen, hat dem Tenor viele kleine Rollen als Diener, Wirt, Notar oder Pastor eingebracht. Aber auch schon mal eine anspruchsvolle Solo-Aufgabe wie in "Hoffmanns Erzählungen". Dass er kein Solist geworden ist, hängt mit der sozialen Sicherheit zusammen, die ein gewerkschaftlich organisierter Chor-Job bietet. Drei erwachsene Kinder haben die Hugglers, und ein schönes ehemaliges Bauernhaus im ruhigen Ortskern von Wasserliesch. Ach ja, und seit Neuestem auch einen Hund. Die Chor-Kollegen haben dem 63-Jährigen zum Abschied den Mops "Attila" geschenkt, der nun wie wild durch die Wohnung wieselt. Öfter reisen will er im Ruhestand, und wieder mehr malen. Eine künstlerische Facette, in der er ebenfalls einen durchaus professionellen Status erreicht hat, wie frühere Ausstellungen seiner Arbeiten dokumentieren. Aber ob die Zeit dafür reicht? Das Theater hat ihm schon eine Nebentätigkeit im Extra-Chor angeboten. Na ja, ein bisschen Nacht in Venedig, dann der große "André Chenier", da sagt er nicht nein. Den Platz in der vorderen Reihe will er freilich jüngeren Kollegen überlassen. Aber kann das einer, der ein echter Leithammel ist? Die Theater-Besucher werden es sehen. Und sie werden vielleicht etwas genauer hinschauen, auf den untersetzten Mann mit dem verschmitzten Blick.

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