Lieber weniger, aber dafür richtig

Nach neun Jahren verabschiedet sich die Sopranistin Vera Wenkert am Sonntag mit der Titelrolle in "Turandot" aus dem Trierer Ensemble. Die Sängerin mit der mächtigen Stimme hat der Oper am Trier er Theater in vielen Produktionen ihren Stempel aufgedrückt.

 Vera Wenkert hat lange das Trierer Theaterleben geprägt. TV-Foto: Friedemann Vetter

Vera Wenkert hat lange das Trierer Theaterleben geprägt. TV-Foto: Friedemann Vetter

Trier. Sie war die Tosca und Woyzecks "Marie", hat reihenweise Wagner-Heldinnen Gesicht und Stimme geliehen, litt als Katja Kabanova und Butterfly, triumphierte als Fidelio. Niemand hatte so viele tragende Rollen, niemand starb so viele Tode auf der Trierer Theaterbühne in der letzten Dekade. Sie wurde mit der "Theatermaske" geehrt und durfte zur Eröffnung der Arena singen.

Zum Arien-Abend nach Bordeaux



Nun geht "die Wenkert". Aufbruch zu neuen Ufern. Freiberuflichkeit statt Ensemble. Spezialisierung aufs hochdramatische Fach statt "Gebrauchssängerin" (Wenkert) quer durchs Repertoire, wie es bei einem festen Engagement in einem kleinen Haus unvermeidlich ist.

Sie will sich Zeit lassen für den Neuanfang. Konsequent sein, was die Auswahl der Rollen angeht. Strauss-Partien studieren, weil sie ihr ideal in der Kehle liegen. Ein Arien-Abend in Bordeaux steht auf der Agenda, ein paar Konzerte, im nächsten Jahr die Freischütz-"Agathe" in Trier, als Gast. Aber da ist auch noch viel freie Fläche beim risikoreichen Übergang von der Festanstellung zur Selbstständigkeit.

"Ich freue mich, aber ich habe auch Angst", bekennt die studierte Philosophin freimütig. Sie hat lange an ihrer Entscheidung "gekaut", aber viele, die sie um Rat gefragt hat, haben ihr den Absprung empfohlen. Dass es sie später doch noch mal in ein Ensemble zieht, will sie nicht ausschließen: "Aber wenn, dann nur an einem größeren Haus".

Vera Wenkerts größtes Potenzial ist gleichzeitig ihr Problem: eine Stimme, die kleine Dimensionen sprengt. Mit einer Durchschlagskraft, wie sie nur großen Sängerinnen zu Gebote steht. Aber auch von einer gewissen Kühle. Eine Stimme, die man nicht einfach "nett" finden kann, die polarisiert zwischen Bewunderung und Ablehnung.

In Rollen außerhalb ihres Fachs bietet das wenig Spielraum. Aber die großen dramatischen Partien sind ziemlich dünn gesät. Wofür Wenkert sich entschieden hat, macht sie unmissverständlich klar: "Lieber weniger, aber dafür richtig gut". Zu Letzterem gehört für sie auch die Möglichkeit, eine Produktion gründlich vorzubereiten und sich im Dialog mit Regisseur und Dirigent mit der Interpretation auseinanderzusetzen. Vera Wenkert ist keine "Instinktsängerin", sie braucht die intellektuelle Ausarbeitung der Figuren, die sie darstellt. Sie wälzt Bücher, studiert die Aufführungsgeschichte.

Manchmal hat man auf der Bühne das Gefühl, dass ihr Kopf ihr im Weg steht. Aber wenn alles zusammenkommt, dann gelingen ihr beispielhafte Menschenstudien. So wie aktuell bei Puccinis "Turandot", wo sie nicht nur die Mords-Partie stemmt, sondern ihrer Figur auch gesangliche Nuancen und Feinabstufungen abgewinnt, wie es nur selten gelingt.

Nicht nur wegen solcher Highlights ist sie dem Trierer Haus "dankbar für die Möglichkeiten, die es mir geboten hat". Für die "Spätberufene" war Trier das erste Engagement. Der Stadt und ihrem Theater-Publikum fühlt sie sich weiterhin "sehr verbunden". Praktischer Ausdruck der Verbundenheit sind künftige Gastspiele an alter Wirkungsstätte. Und einen Wohnsitz in Trier will sie behalten - auch wenn sie künftig öfter bei ihrem Ehemann in Zürich zu Hause sein wird, der seit Jahren keine ihrer Premieren ausgelassen hat.

Ansonsten heißt es: Geduld haben und sich weiterentwickeln. Damit irgendwann der Traum von Isolde, Elektra oder Salome wahr wird.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Vom erwischt werden
Vinyl der Woche: Love Is A Wonderful Thing – Michael Bolton Vom erwischt werden
Aus dem Ressort