Literarisches Sushi

Trier · Langnasige Meisterdiebe, verliebte Raben - und wehmütige Damenschuhe: Die Trierer Autorengruppe Scriptum legt erstmals einen Sammelband mit ausgewählten Kurzgeschichten vor. Die Vielfalt der 48 Texte erinnert ein wenig an fernöstliches Sushi.

 Immer für eine Überraschung gut. Die Autorengruppe Scriptum. Foto: privat

Immer für eine Überraschung gut. Die Autorengruppe Scriptum. Foto: privat

Trier. "Kurz geschichtet", der erste Sammelband des Trierer Autorenkollektivs Scriptum, ist literarisches Sushi: unvorhersehbar, kurzweilig und abwechslungsreich. Die Autoren präsentieren in knapp fünfzig Geschichten die Bandbreite ihres Könnens: von süßen Miniaturen über herzhaftes Geistesfutter bis hin zu bitterer Medizin. In einer konventionellen Rezension könnte man dieser Vielfalt kaum gerecht werden. Darum: neun Mini-Hommagen an die schönsten Geschichten im Buch. Bon Appetit! "Tangoträume" von Gabriele Belker

Gabriele Belker erzählt aus der Perspektive eines Damenschuhs. Das ist, journalistische Objektivität beiseite, zum Niederknien. Und führt zu fabelhaften Sätzen wie: "Ich hörte ihr kurzatmiges Keuchen, als sie versuchte, ihre fleischigen Füße in mein Inneres zu zwängen." Ein Schuh erzählt! Wer das nicht sofort lesen will, sollte dringend seine Vitalfunktionen checken lassen. Bester Satz: "Ihre kurzen Beine erinnerten mich an die Barocktische vergangener Jahrhunderte.""Der Schatz" von Albert Bisenius

Der Anblick einer Apfelsine beim Obsthändler ruft Erinnerungen an einen Weihnachtstag in Mogadischu hervor, an dem der Erzähler Nahrungsmittel an Hungernde verteilte - bis es nichts mehr zu verteilen gab. Eine schnörkellose Geschichte, streng auf die Schlusspointe hin ausgerichtet. Und die sitzt. Bester Satz: "Ärzte ohne Grenzen. Unfassbar, welche Ironie.""Le Tombeau de Franz Xaver Obrechtsperger" von Christoph Riemschneider

Die Elegie auf einen genialen Musiker, verfasst in einer barocken Sprache voller Manierismen: Der ungeheure Charakter des Künstlers spiegelt sich in seitenfüllenden Sätzen, die wie ein mächtiger Strom aus Wörtern den Rhythmus dieses Klagelieds bestimmen. Bester Satz: "... welche Suppe einem das Leben einbrocken konnte und was Schubert von dieser Suppe alles auslöffeln musste und dass das Besondere, das Große, an Menschen wie Schubert eben nicht ist, dass sie im Elend lebten und daraus für ihre Kunst schöpften, sondern, im Gegenteil, dass sie trotz des Elends, in dem sie leben mussten und das sie von allen Seiten einengte und bedrängte, zu solchen Meisterwerken nicht nur fähig waren, sondern sie, kompromisslos und wissend um ihren Wert, einfach schufen.""Hannes, der Lordliche" von Ursula Ruth Weber

Ein Mann und eine Frau machen Campingurlaub am Meer. Nichts Aufregendes. Eigentlich. Bis eines Abends die Frau alleine zum Strand geht. Und dort auf den Kneipenwirt Hannes trifft. Bester Satz: "Ich aber saß noch lange verloren am Strand, schaute Himmel und Sterne an und war froh, dass der morgige Tag der Tag unserer Abreise war."Die empfindsame Nase des Monsieur Grand-Nez" von Gisela Siepmann-WéberParis, die Stadt der Diebe: Arsène Lupin war hier unterwegs und Fantomas. Und jetzt Grand-Nez: Ein Meister seines Fachs, "berühmt für seine Fähigkeit, sich unsichtbar zu machen". Grand-Nez ist stolz darauf, noch nie einen Fehler begangen zu haben. Bis … - sehen Sie, so ist das mit Spannungsgeschichten. Bester Satz: "Grand-Nez war unruhig.""Das Knie" von Claudia Nelgen

Der elfjährige Philipp wird mitten in der Nacht vom Vater geweckt. Die Mutter ist fort; die Geschwister schlafen. "Wir machen eine Reise", sagt der Vater. Was folgt, ist ein schwindelerregender Blick in die Abgründe einer Familie. Bester Satz: "Nicht die Tränen waren verrückt, der Vater war es! Ja, so musste es sein: Der Vater war verrückt geworden.""Fernando - der perfekte Gigolo" von Henrik Jäger

Frustriert von ihrer monotonen Ehe, sucht eine Frau Trost in den Armen eines Roboter-Gigolos. Was mit einem unverbindlichen Rendezvous beginnt, wird bald zu einer Affäre mit dem künstlichen Liebhaber. Bis der gehörnte Ehemann die beiden in flagranti erwischt. Klingt komisch, nimmt zum Ende hin aber eine grimmige Wendung. Aus der Ehe-Hölle gibt es kein Entkommen - so oder so. Bester Satz: "Außerdem würde sie auch eine Fernbedienung für die Zeit des Stelldicheins bekommen.""Zu wahr, um ernst zu sein" von Peter Spürk

Mit diesem Text empfiehlt sich Peter Spürk als Chronist des alltäglichen Trierer Wahnsinns: Weil unter den Stadtpolitikern eine seltsame Seuche ausgebrochen ist, übernehmen die Vereine die Regierungsgeschäfte. Das hat Folgen. Bester Satz: "Entschuldigen Sie meinen Zustand. Von einer Touchscreen-Wand die Gespräche dreier Irrer über den Zeitraum einer ganzen Nacht zu analysieren ist doch sehr ermüdend.""In der Deutschherrenstraße" von Klaus Gottheiner

Ein jahrhundertealter Rabe - Alfred Baron Harkentokrax - berichtet aus seinem Leben. Genauer: Er schildert die traurige Geschichte seiner Liebe zum Fräulein Agathe von Kolk und das Duell, in das er ihretwegen verwickelt wurde. Eine Geschichte von verliebten Raben, wer kann da widerstehen? Bester Satz: "Die Verhöhnung meiner tiefsten Gefühle, die Beleidigung der Ehre einer Dame von Stand, all das hätte ich hinnehmen können, nicht aber dieses vernichtende ‚Kekekekekek.\' Gleich am nächsten Morgen schickte ich dem Marquis meine Sekundanten.""kurz geschichtet" ist im Verlag Michael Weyand erschienen (304 Seiten, 9,95 Euro) Die Scriptum-Autoren lesen am Mittwoch, 27. November, 20.15 Uhr, in der Mayerschen Buchhandlung (Kornmarkt 3, 54290 Trier) aus ihrem Buch. Im Eintrittspreis von fünf Euro ist eine kleine Weinprobe enthalten.

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