Die Kulturmacher Michel Welter (Den Atelier) Kulturmacher: Atelier-Chef über ein „Wahnsinnsjahr“ zwischen den Ärzten, Kraftwerk und Rammstein

Luxemburg · Im „Atelier“ in Luxemburg spielten schon Die Ärzte, Muse oder Placebo – und auch dieses Jahr geht es verrückt weiter.

Eine Institution in Luxemburg – der Liveclub „Den Atelier“: Hier lassen sich Crowdsurferinnen beim Auftritt von The Streets auf Händen tragen.

Eine Institution in Luxemburg – der Liveclub „Den Atelier“: Hier lassen sich Crowdsurferinnen beim Auftritt von The Streets auf Händen tragen.

Foto: TV/Andreas Feichtner

Blick zurück ins Jahr 1995: Luxemburg ist zum ersten Mal Kulturhauptstadt Europas. Die Rolling Stones spielen ein Open-Air-Konzert auf dem Kirchberg. Aber ansonsten geht es in Sachen Kultur von internationalem Rang im Nachbarland noch beschaulich zu: Da regieren noch Turnhallen, zweckentfremdet.

Die Kulturfabrik Esch ist gerade in der Planung, das Mudam höchstens ein ferner Wunsch, die Abtei Neumünster noch kein Kulturzentrum. „Coque“, Rockhal, Philharmonie? Alles Zukunftsmusik. Aber ein neuer Club öffnet im Herbst zum ersten Mal die Türen. Aus der Not heraus, der Bedarf ist einfach da, ins Leben gerufen von den Musikbegeisterten Laurent Loschetter, Petz Bartz und Ferdinand Feidt: In einer früheren Renault-Werkstatt weiht Jimmy Somerville (Bronski Beat) am 1. November den Liveclub ein, der sich inzwischen reinen Gewissens eine echte Institution nennen darf: „Den Atelier“, in der Nähe vom Hauptbahnhof. Ein Laden, in den zwar nur rund 1000 Zuschauer passen, samt Empore. Aber der dennoch immer wieder Bands und Künstler lockt, die eigentlich nur auf deutlich größeren Bühnen spielen – von Kraftwerk über Placebo und Muse bis zu den Smashing Pumpkins und den „Ärzten“, die sich auf ihrer Europatour durch ausgewählte kleine Clubs auch in Luxemburg auf Rock am Ring (7. bis 9. Juni) eingestimmt haben. Lob gab’s von Farin Urlaub höchstselbst: Er bezeichnete die Luxemburger – okay, ein paar Deutsche waren auch dort – als „schlauestes und musikalischstes Publikum bisher“. Warum es große Bands immer wieder in den Club zieht? Es ist die Nähe zu den Fans, der intime Charakter, die enge Bühne. Wer dort steht, muss liefern. Kein Platz für LED-Wände oder andere Ablenkungen.

Aus den wenigen Konzerten der Anfangsjahre sind inzwischen rund 120 Veranstaltungen im Jahr geworden, die a-promotion (so heißt die Firma) organisiert – und die sich nicht nur aufs Atelier beschränken. „Wir haben rund 150 000 zahlende Zuschauer im Jahr“, sagt Michel Welter, Chef von a-promotion, und ergänzt mit einem Lächeln: „Das ist mehr als zum Beispiel das Mudam.“ Im Gegensatz zu anderen Kulturinstitutionen in Luxemburg muss sich das „Atelier“ zum allergrößten Teil selbst finanzieren: „Wir bekommen vom Kulturministerium keinen Zuschuss und von der Stadt Luxemburg einen minimalen.“

Für größere Konzerte gehen die Atelier-Macher auch mal in die Rockhal – im Juni etwa bei den Shows von Jamiroquai und Bon Iver. Oder sie gehen in den Innenhof der Abtei Neumünster oder in die 3000 Zuschauer fassende Luxexpo auf dem Kirchberg. Eine eigene, größere Location – die vor einigen Jahren mal im Gespräch war – ist aufgrund der massiv gestiegenen Immobilienpreise in Luxemburg kein Thema mehr. Das schicke neue Nationalstadion, das aktuell bei Kockelscheuer gebaut wird, könnte man sich auch gut als Konzertspielstätte vorstellen – das ist aber wohl von Betreiberseite aus nicht vorgesehen.

Michel Welter ist bestens vernetzt: Nach seinem BWL- und Musikbusiness-Studium in Brüssel und New York arbeitete der Luxemburger beim Philharmonie-Orchester (OPL), in der Abtei Neumünster und der Rockhal, bevor es ihn vor elf Jahren zum Atelier zog. Dort ist seitdem einiges passiert. „In diesem Jahr sind wir absolut im Himmel. Wir haben ein verrücktes Jahr“, sagt der 42-Jährige, der sich freut, eine Reihe „hochwertiger Künstler nach Luxemburg“ zu holen. „Da haben wir Kraftwerk und Tears for Fears in der Abtei Neumünster. Die Ärzte und Foals waren schon im Atelier, dann kommen noch Morcheeba, Pixies und so viele mehr – da fällt es mir schwer, etwas rauszugreifen“. Er spricht von zwei voneinander unabhängigen „Konjunkturen“: „Zum einen geht es ums Publikum – sind Geld und nötige Bereitschaft da, auf Konzerte zu gehen und Tickets zu bezahlen? Und zum anderen: Welche Bands sind auf Tour, können gebucht werden?“ In diesem Jahr läuft bisher alles rund. „Aber wir hatten 2014/15 auch eine schlechte Zeit, danach mussten wir umstrukturieren.“ Grund war damals vor allem das Rock-a-Field-Festival. Das feierte 2006 als Ein-Tages-Festival Premiere, wurde später größer – und speziell im Jahr 2014 ein finanzieller Flop. Einen Grund sieht Michel Welter bei den Künstlergagen, die inzwischen vor allem bei Festivals aufgerufen werden. „Es ist verrückt, wie die Gagen explodiert sind. Da wird heute teilweise das zehnfache von dem aufgerufen, was wir 2008 bei Rock-a-Field gezahlt haben. Ich will die Gagen nicht kritisieren – aber wir können da nicht mithalten.“ Das Rock-a-Field gibt es nicht mehr. Dafür aber seit 2017 das kleine, feine Siren’s-Call-Festival rund um die Abtei Neumünster: „Das ist unser Baby, da stecken wir ganz viel Herzblut rein.“ Das Festival verbindet Musik vor allem aus dem Indiebereich mit Kunstausstellungen und Workshops. In diesem Jahr sind für unter anderem Metronomy, Band of Horses und Cat Power angekündigt (29. Juni).

Mit Indie, Grunge, Punkrock und Hardcore wurde Welter musikalisch sozialisiert. Seine persönlichen Highlights im „Atelier“, jenseits des Jobs? „Die Black Crowes waren fantastisch. Oder auch Sonic Youth – mit Thurston Moore, der mit seiner Gitarre übers Publikum ging. Das war fast surreal.“ Aber auch die Auftritte von Bat for Lashes, Foals oder Triggerfinger („das sind Freunde geworden“) bleiben für immer haften.

Zum großen Drei-Tage-Festival will Michel Welter nicht zurück. Einzelne Headline-Shows seien von den Kosten her überschaubarer als Mehrtages-Festivals. „Das haben wir bei den Iron-Maiden-Open-Airs in Roeser gesehen“, sagt Michel Welter. An gleicher Stelle wird auf dem Feld im Süden Luxemburgs eine Bühne entstehen, die von den Dimensionen wohl auch die der Stones 1995 blass aussehen lässt: „Rammstein kommt mit einer 60 mal 30 Meter großen Bühne.“ Die Show am 20. Juli war innerhalb kürzester Zeit ausverkauft.

 Der Luxemburger Michel Welter vom Luxemburger Club „Den Atelier“: Das Team um den 42-Jährigen organisiert rund 120 Veranstaltungen im Jahr – von kleinen Indie-Shows bis hin zu Rammstein.

Der Luxemburger Michel Welter vom Luxemburger Club „Den Atelier“: Das Team um den 42-Jährigen organisiert rund 120 Veranstaltungen im Jahr – von kleinen Indie-Shows bis hin zu Rammstein.

Foto: Johnny LEMARQUIS

Andreas Feichtner

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