Magische Kraft

Im Windschatten der "großen" Opern-Produktion auf der See-Bühne pflegen die Bregenzer Festspiele seit Jahren ihre "Hausoper" im Festspielhaus der Entdeckung eines (fast) vergessenen Meisterwerks zu widmen. In diesem Jahr gelang mit der Oper "König Roger" des Polen Karol Szymanowski eine sensationelle Ausgrabung.

Bregenz. So wünscht man sich Oper: Hoch konzentriert, emotional aus der Musik heraus entwickelt, spannend am Sujet entlang erzählt, mit den Mitteln menschlicher Gesangs- und Darstellungskunst dem Publikum unter die Haut gejagt.

Auch das gibt es dieses Jahr in Bregenz. Im Festspielhaus, wo Intendant David Pountney, ganz ohne Wasserspiele, tief in die Zeit zwischen Antike und Mittelalter eintaucht. Es geht in der 1926 uraufgeführten Oper um den sizilianischen König Roger, der der Faszination verfällt, die ein Hirte verbreitet. Statt religiöser Disziplin und Bescheidung predigt dieser Ekstase und Lust, und das Volk folgt ihm, angezogen wie von einer magischen Kraft, angeführt von der Königin, Rogers Ehefrau Roxane.

Doch die libertäre Rauschhaftigkeit endet in unmenschlichen Opfer-Ritualen, die auch Roxane das Leben kosten. Und der König, hin- und hergerissen zwischen der Sackgasse religiöser Zwänge, der Faszination des Zügellosen und der Unkontrollierbarkeit eines wilden Lustprinzips, sucht am Ende seinen eigenen Weg.

Das wird oratorienhaft erzählt, mit einer expressiven, schwülen, ungemein packenden Musik, die an die zwei Jahrzehnte zuvor entstandenen Antike-Opern von Richard Strauss erinnert. Mark Elder dirigiert die Wiener Symphoniker in Bregenz mit solcher Verve und Präzision, dass man nicht begreift, warum dieses Meisterwerk ein Geheimtipp geblieben ist, der selbst in Standard-Opernführern oft keine Aufnahme findet. Die aus Krakau und Kattowitz importierten Chöre sind von außerordentlicher Präsenz und Wucht, und das Solisten-Quartett lässt keine Wünsche übrig: der kraftvolle Scott Hendricks als König Roger, die hingebungsvolle Olga Pasichnyk als Roxane, der in lyrischen Höhen traumhaft sicher wandelnde Will Hartmann als Hirte und der souveräne John Graham-Hall als Ratgeber Edrisi.

Grandiose Beleuchtung



Raimund Bauer hat dafür eine ebenso einfache wie imponierende, in weiß gehaltene, antike Treppen-Kulisse gebaut, die durch die grandiose Beleuchtung von Fabrice Kebour zu einem eigenen Kunstwerk wird. Ein 90-minütiger Sturm der Gefühle, für den Regisseur Pountney und seine Mitstreiter emphatisch gefeiert werden. Zu Recht.

Die Oper spielt übrigens über weite Teile in einem Amphitheater. Und die Trierer Antikenfestspiele wollen sich künftig ja den weniger bekannten Meisterwerken widmen. Da würde sich die Investition in ein Exemplar der Partitur vielleicht lohnen.

Vorstellungen am 1. und 3. August. Infos, auch zu "Aida": www.bregenzerfestspiele.com

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