Magnetisierend: Magier und Mädchen

Mesmers Lebenstraum ist, seine Methode - der animalische Magnetismus - möge vor den medizinischen Akademien Anerkennung finden. Dazu kommt Mesmer der spektakuläre Fall des blinden musikalischen Wunderkindes gerade recht. Doch es folgt der große Rückschlag. Er wird aus Wien ausgewiesen und geht nach Paris.

Wien im Jahre 1777: Der Mediziner Franz Anton Mesmer, einer der bekanntesten Ärzte seiner Zeit, wird mit einem scheinbar hoffnungslosen Fall konfrontiert: Der Arzt soll das blinde musikalische Wunderkind Maria Theresia Paradis, eine Pianistin und Sängerin, von seinem in früher Kindheit aufgetretenen Leiden heilen.

Bevor Mesmer Maria Theresia, "die blinde Klavieristin", in sein "magnetisches Spital" aufnimmt, ist sie zuvor bereits von vielen - auch angesehenen - Ärzten beinahe zu Tode kuriert worden. Dazu Originalton Mesmer: "Heutzutage müsse ein Kranker vor allem den Arztbesuch überstehen." Doch der magische Mesmer glaubt, ihre Krankheit mit Hilfe seiner Methode des ,,animalischen Magnetismus" nicht nur lindern, sondern gar heilen zu können.

Ehrgeiziger Arzt mit ausgefallener Heilmethode



Im Zentrum seiner Lehre steht das "Fluidum", das alle lebendigen Körper durchströmt. Krankheiten resultieren aus der ungleichen Verteilung dieses Stoffes. Selbstverständlich hofft Mesmer zugleich, durch diesen in der Öffentlichkeit viel diskutierten Fall die lange erhoffte Anerkennung der akademischen Gesellschaften für sein Heilverfahren zu erlangen. Doch alles kommt anders, als der Leser denkt.

Bei Alissa Walser gibt es keinen auktorialen, allwissenden Erzähler. Auch wenn sie den ganzen Roman in der dritten Person Singular darbietet, wechselt die Sichtweise ständig zwischen ihren beiden Hauptpersonen/Protagonisten, mal erzählt Mesmer, dann Theresia Paradis den Fortgang der Geschichte. Auf diese Weise entsteht eine starke Seelenverwandtschaft zwischen dem Mediziner/Magier Mesmer und der Patientin Paradis.

Beide verbindet zudem sozusagen der Sprachverlust gegenüber der Umwelt allgemein. Theresia/,,Resi" wird quasi von ihren Eltern zum sprachlosen Objekt degradiert - Mesmer hingegen kann sich den Kollegen nicht mitteilen, weil er es nicht versteht, seine Methode ,,in die Sprache der Vernunft" zu übersetzen. Oder um es mit Mesmers Worten zu sagen: "Gar nichts lässt sich beweisen, nicht mit Buchstaben, nicht mit Sätzen, Traktaten."

Da Walsers Sätze häufig nur aus wenigen - oft ein oder zwei - Wörtern bestehen, wirkt ihre Sprache fragmentarisch, spröde, auf angenehme Weise knapp und karg. So etwa beginnt Theresias "zweiter Rückzug in die Nacht", worauf auch Sandra Kegel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hinweist, mit den Worten: "Sie sei zufrieden. Mit sich. Ihrem Leben. Sehen, wozu denn? Klavier spielen kann ich auch ohne." Zudem experimentiert Alissa Walser allgemein mit der Sprache. Indem sie persönlichste Empfindungen der Protagonisten in der dritten Person wiedergibt, erhält der Roman eine künstliche-verfremdende Note. Dem entspricht auch schon die Zerstückelung von Mozarzts Einheit "Nachtmusik" bei Walser im Titel in "Am Anfang war die Nacht Musik". Dieses Gekünstelte wird ebenfalls dargestellt durch Mesmers ständigem Spielen auf der sogenannten "Glasharmonika" die - von Alissa Walser selbst gemalt - auch das Cover ziert und somit die Bedeutung des Motivs unterstreicht.

Sie folgt der Mode des Wissenschaftsromans



Auch der gekonnte Umgang mit einzelnen Motiven ist auffallend. Etwa das Auftreten von Mesmers großem schwarzen Hund, der gegen Ende gar in Paris auftaucht und gar als "schwarzer Teufel" bezeichnet wird. Hinzuweisen bleibt schließlich noch auf die Tatsache, dass Walsers Werk quasi an einem "Negativbeispiel" die im modernen Roman inzwischen häufig in den Vordergrund gerückte Wissenschaftsgeschichte (Daniel Kehlmanns "Die Vermessung der Welt" mit Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß oder Ralf Bönts "Die Entdeckung des Lichts" über Michael Faraday) aufarbeitet, was vor ihr jedoch etwa schon die Romantiker oder 1966 der schwedische Autor Per Olov Enquist mit seinem Roman "Der fünfte Winter des Magnetiseurs" getan hat. Das Werk des Magnetiseurs hat die Nachwelt hinreichend fasziniert. Alissa Walsers toller Debütroman trägt dazu weiter erheblich bei.
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Aufmerksam wurde sie auf des Magnetiseurs Fall wohl auch durch die große Parallelen in Mesmers und ihrem Lebenslauf: Beide am Bodensee geboren, verbrachten sie später viele Jahre in Wien.

Alissa Walser: Am Anfang war die Nacht Musik, Roman, Piper Verlag, München/Zürich, 253 Seiten, 19,95 Euro.

Zur Person "Am Anfang war die Nacht Musik" ist der erste Roman Alissa Walsers (geboren 1961), der dritten Tochter des Schriftstellers Martin Walser. Sie studiert von 1981 bis 1986 in New York und Wien Malerei und arbeitet heute in Frankfurt als Malerin, literarische Übersetzerin (Sylvia Plath) und Schriftstellerin. Bereits 1992 erhält sie in Klagenfurt für ihre Kurzgeschichte "Geschenkt" den renommierten Ingeborg-Bachmann-Preis und veröffentlicht bisher mehrere Erzählungsbände.

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