Man muss ja zeigen, was los ist!

Es ist "ihr" Land: Ein Haiti-Bild von Alice Smeets ist 2008 zum Unicef-Foto des Jahres gekürt worden. Derzeit stellt sie in der Tufa in Trier aus. Smeets hat Haiti nach dem Erdbeben besucht und berichtet im TV-Interview von ihren Erlebnissen. Die spannende Frage: Wie weit darf Krisenfotografie gehen?

 Flüchtlinge haben ein Fußballstadion bei Port-au-Prince in ein Camp verwandelt. Die zweijährige Wicheline Bekain lebt mit ihrer Familie im Fußballtor. TV-Foto: Alice Smeets

Flüchtlinge haben ein Fußballstadion bei Port-au-Prince in ein Camp verwandelt. Die zweijährige Wicheline Bekain lebt mit ihrer Familie im Fußballtor. TV-Foto: Alice Smeets

Trier/Eupen. (hpl) Die 22-Jährige Alice Smeets aus Eupen in Belgien zählt zu den großen Nachwuchstalenten im Fotojournalismus. Sie hatte auf einem Workshop in New York Philip Jones Griffiths kennengelernt und ihm ihre Mappe gezeigt. Griffiths zählt zu den Fotografen, die in den 70er Jahren spektakuläre Fotos im Vietnamkrieg geschossen haben. Der ehemalige Präsident der Agentur Magnum engagierte sie bis zu seinem Tod 2008 als Assistentin. Nun arbeitet Smeets selbstständig als Fotojournalistin und will in die Fußstapfen ihres Mentors treten. TV-Redakteur Hans-Peter Linz sprach mit ihr nach ihrer Rückkehr von Haiti.

Woher kommen Ihr Interesse und Ihr Engagement für Haiti?

Smeets: Anfangs kam das Interesse dadurch, dass man selten was über Haiti hört. Mich interessieren Plätze, die keiner kennt. Ich habe mich nach einem ersten Aufenthalt in diese Leute verliebt. Es ist ein Land mit einer sehr tiefen Kultur und sehr stolzen Menschen.

Sie sind sofort nach dem Beben nach Haiti geflogen - wie haben Sie das geschafft?

Smeets: Ich hatte sowieso einen erneuten Aufenthalt auf Haiti geplant. Als das Erdbeben losging, war ich bereits in New York. Ich habe dann einen Platz in der Maschine einer Hilfsorganisation bekommen. Ich hatte Glück. Als ich auf Haiti ankam, war so vieles zerstört. Ich konnte dann im UN-Hauptquartier übernachten. Die haben in dem Chaos gar nicht gefragt, wo man herkommt.

Was waren Ihre intensivsten Erfahrungen dort - mitten im Krisengebiet?

Smeets: Am meisten hat mich ein Moment auf dem Fußballplatz im Flüchtlingslager berührt. Da waren viele Kinder. Die haben sich an einem Morgen alle an die Hand genommen und Karnevalslieder gesungen!

Manch einer würde sagen, dass man in einem Krisengebiet helfen soll anstatt Fotos zu machen. Was würden Sie entgegnen?

Smeets: Nun, die Frage ist, woher wüsste man, dass dort große Not ist, wenn es keine Fotos gäbe? Man muss ja zeigen, was los ist. Es waren sehr viele Fotojournalisten auf Haiti. Ich hatte aber sowieso geplant, dorthin zu reisen, und hatte kein Interesse an Sensationsfotos. Ich wollte die Stärke der Haitianer mit meinen Bildern zeigen. Ich plane einen Bildband über Haiti. Als das Erdbeben losging, habe ich auch einen Moment überlegt, ob es Sinn macht, mittenrein zu fliegen. Ich habe mich aber dann dafür entschlossen.

Warum wollen Sie einen Bildband über Haiti machen?

Smeets: Ich will der Welt mit einem Bildband die Situation dieses armen Landes zeigen. Ich will auch während der Wiederaufbauzeit Haiti wieder besuchen. Ich werde den Bildband wohl in drei Teile gliedern - vor, während und nach dem Erdbeben.

Krisenfotos zu machen und sie zu zeigen ist eine Gratwanderung. Denn das ehrenhafte Ziel, die Welt auf Missstände aufmerksam zu machen, wird schnell damit verwechselt, die Sensationsgier und den Voyeurismus der Menschen mit grausamen Bildern zu befriedigen. Wo ziehen Sie die Grenze?

Smeets: Ich würde auch in Krisengebieten fotografieren, wenn das mein Auftrag ist. Ich habe schon mal Leichen fotografiert, aber keine Leichenberge. Ich finde nicht, dass das falsch ist, aber ich würde es nicht tun. Manchmal werden die Menschen aber auch erst wach, wenn sie die Leichenberge in ihrer Tageszeitung sehen. Ich glaube, man muss einfach von Fall zu Fall entscheiden, wie weit man geht, wie extrem die Bilder sind, die man macht.

Extra

Mehr als drei Wochen nach dem verheerenden Erdbeben hat die haitianische Regierung die Zahl der Todesopfer erneut nach oben korrigiert. Jüngsten Schätzungen zufolge kamen 200 000 Menschen ums Leben, teilte Premierminister Jean-Max Bellerive am Mittwoch in Port-au-Prince mit. Auf der Homepage www.artco-ac.de bietet Alice Smeets ab nächster Woche Bilder von Haiti an, deren Erlös zu 100 Prozent an gemeinnützige Organisationen auf Haiti geht. Bis 20. Februar sind ihre Fotos in der Tufa in Trier zu sehen. Ab 21. Februar stellt sie in der Galerie ARTCO in Herzogenrath aus.

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