Martin Scorsese

vermutlich werden Sie doch ein "F...", eines jeden Amerikaners Lieblings-Fluch, im Stillen unterdrückt haben, als auch in diesem Jahr der Oscar an Ihnen vorbeiging. Da machen sie einem mit Nominierungen (elf für Ihren "Aviator") den Hals lang, und dann wird der goldene Kerl doch einem anderen in die Hand gedrückt - zumindest in den Königsdisziplinen, die für den be-sten Film und die beste Regie.

Mal unter uns: Finden Sie diesen glatzköpfigen Mann mit Schwert - eine Statue, die einer faschistoiden Kunstästhetik gefährlich nahekommt - so attraktiv, dass Sie ihn sich wirklich ins Regal stellen wollen? Wie bitte? Kein Trost? Es geht ums Prinzip? Ja, ja, Sie haben schon Recht. Aber Sie wissen doch: In jeder Jury, egal ob es um den wichtigsten Filmpreis der Welt oder den Karnickelwettbewerb in Borstelwiebecke geht, wird gemauschelt auf Deubel komm ‘raus. Leistung ist immer noch primär eine physikalische Größe und nur auf diesem Gebiet objektiv mess- und prüfbar. Alles andere ist Geschmacks- und Intrigensache und beurteilungsmäßig sozusagen frei floatend im Raum der Willkürlichkeiten. Macht- und Manipulationsinstrumente sind Preise obendrein. Und, das wissen alle 68er, eine perfide Erfindung der Lei-stungsgesellschaft. Wie sagte doch Ihr Kollege Billy Wilder: "Auszeichnungen sind wie Hämorrhoiden. Früher oder später kriegt sie jedes Arschloch." Auch kein Trost? Jetzt werden Sie bloß nicht selbstmitleidig. Muss ich ausgerechnet Ihnen erzählen, wer bei dem alljährlichen Tinseltown-Hype bislang alles leer ausgegangen ist? Mal sehen... Fred Astaire, Richard Burton, Montgomery Clift, Marlene Dietrich, Kirk Douglas, Greta Garbo, Cary Grant, Ernst Lubitsch, Robert Mitchum, Marilyn Monroe und Orson Welles, um nur einige der bekanntesten zu nennen. Alfred Hitchcock und Charlie Chaplin haben auch bloß einen Verlegenheits-Oscar "für ihr Lebenswerk" (blablabla) bekommen. Selbst die Marx Brothers, die bis heute unerreichten Anarchisten des Kinos, kriegten ihn zu zwei Drittel posthum - nur Bruder Groucho lebte noch, um die Figur entgegenzunehmen - und auch bloß ehrenhalber. Na gut, auch nicht wirklich ein Trost. Aber eine erstklassige Gesellschaft.Rainer Nolden

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