Interview Matthias Friedrich Der Mann, der die Eifel nach Norwegen bringt

Trier · Aus Trier stammender Übersetzer mischt Eifeler Platt in skandinavische Literatur. Unsere Redakteurin hat nachgehört, warum.

  Matthias Friedrich, Übersetzer, stammt aus Trier.

Matthias Friedrich, Übersetzer, stammt aus Trier.

Foto: Matthias Friedrich/privat

Übersetzer haben einen undankbaren Job. Sie feilen im Stillen an Wörtern und Sätzen, verschaffen uns erst den Zugang zu fremdsprachigen Welten und werden dann von den meisten Lesern nicht einmal wahrgenommen. Matthias Friedrich aus Trier hat dies nicht davon abgehalten, diesen Berufsweg einzuschlagen. Mit 27 Jahren hat er bereits Bücher übersetzt, die in Norwegen vielbeachtet waren. Und hat sich der Dialekte bedient, die zwischen Trier, Bitburg und Prüm beheimatet sind. Das dem jüngsten Buch angehängte Glossar verzeichnet Wörter wie „strabbelig“ (mühsam), „mautschen“ (einweichen), „kobbeln“ (wie eine Spinne, also Kobbe, gefangen sein, keinen Ausweg finden) bis zu Knatschert (langweiler Schwätzer). Im TV-Interview erzählt Friedrich von seinem Projekt.

Sie haben einen modernen Roman mit dem Bandwurmtitel „Das Grabenereignismysterium“ aus dem Norwegischen ins Deutsche übersetzt. Um was geht es in dem Buch?

MATTHIAS FRIEDRICH Der Roman handelt von dem Intellektuellen Thomas Olsen Myrbråten und dessen vorläufigem Untergang. Myrbråten erhält vom Norwegischen Kulturministerium den Auftrag, ein Gutachten über die norwegischen Kulturdenkmäler zu schreiben. Allerdings ergründet er nicht, inwiefern sie sich noch weiter in Geld verwandeln lassen, sondern reist vermittels dieses Gutachtens in die eigene Biografie hinab, denn er sieht, wie das ländliche Norwegen vom Tourismus verformt worden ist. Diese Erkenntnis greift auch auf sein Privatleben über: Er erkennt, wie seine Familie im Zuge der landwirtschaftlichen Modernisierung der vergangenen Jahrzehnte auseinandergerissen wurde. Der Mensch hält sich für die Mitte der Welt und meint, die Natur in Kapital verwandeln zu müssen. Dabei ist das Gegenteil richtig: Der Mensch – und damit auch seine Kultur – ist nur eine von vielen Äußerungsformen der Natur. Der Mensch ist gleichbedeutend mit Bäumen, Elefanten und Ameisen.

Der Protagonist des Romans erlebt eine Art Entwurzelung in der postmodernen Welt Norwegens. Inwiefern sind seine Erfahrungen mit denen in anderen Kulturen vergleichbar?

FRIEDRICH Mir fällt Katalonien als Beispiel ein: Der Tourismussektor greift derart in das Leben der Menschen ein, dass sie zum Beispiel in Barcelona keine Wohnung mehr finden können, weil viele über Airbnb vermietet werden. Das kulturelle Leben in der Nachbarschaft geht verloren, weil keine Alteingesessenen in den Stadtteilen mehr wohnen. Und von den Umweltzerstörungen möchte ich erst gar nicht anfangen.

Das Werk geht auch mit dem Kapitalismus hart ins Gericht. Die Hauptfigur meint, „dem Geld zu dienen, es zu verehren und es anzubeten“ sei vielleicht das Wahrhaftigste, das man derzeit in Norwegen tun könne. Ist der Reichtum Norwegens zugleich sein Fluch?

FRIEDRICH Ich denke schon. Viele meinen, Norwegen sei ein so idyllisches Land. Das stimmt aber gar nicht. Es hat eine schlimm neoliberale, bisweilen skandalös unfähige Regierung; das Sozialamt NAV hat beispielsweise ein Gesetz fehlinterpretiert, was dazu geführt hat, dass viele Menschen unschuldig wegen Sozialbetrugs verurteilt wurden – Politiker-Rücktritte gab es aber noch keine deswegen. Zurzeit suche ich einen Verlag für Leif Høghaugs Roman Kælven (etwa: „Der Kälberich“), der sich genau mit dieser politischen Thematik auseinandersetzt. Das ist ein Arbeiterroman fürs 21. Jahrhundert, der mit den Mitteln einer schwarzen Komödie ergründet, welche Auswirkungen eine neoliberale Sozialpolitik auf Körper und Psyche hat. Trierer könnten hier hellhörig werden, denn Høghaug hat einen Sohn der Stadt übersetzt – Karl Marx und dessen „Kommunistisches Manifest“.

Wie kamen Sie darauf, dieses sperrige Intellektuellen-Werk zu übersetzen?

FRIEDRICH Das war eher zufällig. Ich ging in die Bibliothek, weil ich Stoff für eine mögliche Doktorarbeit suchte. Da fiel meine Wahl auch auf Thure Erik Lunds Roman, den ich bereits kannte. Allerdings merkte ich schnell, dass mich eine Übersetzung mehr interessierte als eine wissenschaftliche Beschäftigung damit. Ich rechnete allerdings nicht damit, dass ich binnen einer Woche einen Verlag für das Buch finden würde. Normalerweise dauert das länger.

Was fasziniert Sie an der Geschichte, die im Klappentext als „böse Satire auf Norwegen“ charakterisiert wird?

FRIEDRICH Mich fasziniert, dass Lund einen Roman in der „leseraussiebendsten Form“ schreiben und dabei trotzdem eine Geschichte erzählen kann, die strenger komponiert ist, als man beim ersten Lesen meint. Es ist ihm auch nicht wichtig, was der Markt davon hält. Allerdings hat Norwegen auch eine bessere Literaturförderung als Deutschland.

Was hat norwegischer Dialekt mit Eifeler Platt gemeinsam?

FRIEDRICH Wenn in Norwegen ein Nachrichtensprecher den Mund öffnet, hört man in der Regel, wo er herkommt. Wenn eine Serie in Stavanger spielt, sprechen die Protagonisten den dortigen Dialekt. Mundarten sind in der norwegischen Öffentlichkeit also viel stärker verankert als in Deutschland, hier werden sie eher stiefmütterlich behandelt. Das war auch beim Übersetzen ein Problem: Ich musste erst das Rheinische Wörterbuch entdecken, um geeignetes Wortmaterial zu finden. Aber das war auch eine Chance: Denn ich sah, dass vor mir schon jemand alle Begriffe definiert hatte, die ich aus meiner Kindheit kenne und von denen ich lange Zeit geglaubt hatte, meine Familie habe sie erfunden. Denkste!

Hat der Dialekt ein Potenzial, das der Hochsprache fehlt?

FRIEDRICH Ich glaube, ich muss diese Frage im Zusammenhang mit Lunds Roman beantworten, der nämlich selbst kein Beispiel für Hochsprache ist. Er mischt alles: a-Endungen, wie sie in der strengen Auslegung der Bokmål-Variante üblich sind, die von den meisten Norwegern gesprochen wird; i-Endungen, die in manchen Dialekten vorkommen und eben Wörter, die obskuren Nachschlagewerken über Lunds Heimat Modum entnommen oder gleich komplett erfunden sind. Ich konnte demzufolge nicht einfach ins Hochdeutsche übersetzen, sondern musste selber hin und wieder mischen. Und da fiel meine Wahl auf den eigenen Dialekt.

Indem Sie Worte dem Dialekt entlehnen und ganz neue Wörter kreieren, wird sichtbar, dass Übersetzen nicht nur ein Handwerk ist, sondern ein künstlerischer Akt. Wie sehen Sie das?

FRIEDRICH Das sehe ich ganz genauso. Google könnten Sie diesen Text niemals vorlegen, denn zurzeit scheitern maschinelle Übersetzungen daran, Nuancen einer Vorlage wiederzugeben. Zum Glück! Da bin ich (noch) nicht überflüssig.

Übersetzer werden in der Literaturwelt oft nicht wahrgenommen. Woran liegt das?

FRIEDRICH Oft scheinen Feuilletonredakteure der irrigen Annahme zu sein, übersetzte Bücher, ob von Lund oder anderen, seien mal eben ins Deutsche hinübergehüpft. Ebenso hängen sie oft noch überkommenen Vorstellungen hinterher. Ihre Annahme scheint die folgende zu sein: Ein Autor lässt sich gut inszenieren (zum Beispiel als polterndes Genie oder als empfindsames Pflänzchen), ein Übersetzer hingegen nicht, denn der bearbeitet ja eine Vorlage. Was für ein Quatsch! Schauen Sie sich an, was Elisabeth Edl aus „Madame Bovary“ gemacht hat, oder lesen Sie Susanne Langes „Gringo Champ“.

Was passiert auf der Plattform „TralaLit“, für die Sie sich mit anderen Übersetzern zusammengetan haben?

FRIEDRICH Ursprünglich wurde die Plattform ja nicht von mir gegründet, sondern von Freyja Melsted, Felix Pütter und Julia Rosche. Ich schreibe nur hin und wieder einen Gastbeitrag. In der Regel passiert dort das, was im Feuilleton nicht passiert: Es werden Übersetzungen besprochen, um die Sichtbarkeit der sonst so unsichtbaren Übersetzer zu steigern. Zum Beispiel las ich letztens einen Artikel über die Albertine-Sarrazin-Übersetzerin Claudia Steinitz. Aber ich erfuhr auch, wie Verena Maser ein geschlechtsneutrales Pronomen für einen Haruko-Ichikawa-Manga entwickelt hat, dessen wesentliches Merkmal Figuren sind, die gar kein Geschlecht haben. Ist das im Deutschen unmöglich? Nein, überhaupt nicht!

Wie kamen Sie zum Beruf Übersetzer?

FRIEDRICH An der Uni habe ich zusammen mit meiner Kommilitonin Slata Kozakova ein Projekt geleitet, aus dem zwei Anthologien mit Prosa und Lyrik aus Nord- und Osteuropa entstanden. Mit der Zeit begann ich auch, mich mit anderen Übersetzungen zu beschäftigen, und 2018 erschien dann mit Svein Jarvolls „Eine Australienreise“ meine erste Übersetzung im Verlag von Urs Engeler.

Wem würden Sie die Lektüre von „Das Grabenereignismysterium“ empfehlen?

FRIEDRICH Eine Empfehlung ist viel zu sehr eine Einordnung in marktökonomische Kategorien: „Wer dies liest, der mag auch das“ oder „Fünf Sterne! Unbedingt lesen!“. Das Grabenereignismysterium kommt auch unabhängig vom Markt zu Ihnen, und zwar dann, wenn Sie es am wenigsten erwarten. Deswegen empfehle ich es niemandem.

 Cover Buch Das Grabenereignismysterium

Cover Buch Das Grabenereignismysterium

Foto: Verlag Droschl

Das Buch: Thure Erik Lund, Das Grabenereignismysterium, Roman, Aus dem Norwegischen von Matthias Friedrich, Literaturverlag Droschl, 2019, 296 Seiten, 23 Euro.

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