Mauern gegen Leinwände getauscht

Völklingen · In der Völklinger Hütte ist bis November die Ausstellung "Urban Art" zu sehen. Die Schau bietet einen umfassenden Blick auf aktuelle Graffiti-Kunst seit der Jahrtausendwende. Deren Anfänge reichen viel weiter zurück.

 Im Rahmen der Writing-Bewegung sind die Schriftzeichen der Sprayer immer kunstvoller und bunter geworden. Der New Yorker Künstler Cope2 lässt seinen Namenszug wie Blasen aussehen. Foto: Völklinger Hütte

Im Rahmen der Writing-Bewegung sind die Schriftzeichen der Sprayer immer kunstvoller und bunter geworden. Der New Yorker Künstler Cope2 lässt seinen Namenszug wie Blasen aussehen. Foto: Völklinger Hütte

Völklingen. Die Wurzeln der Urban Art liegen in der Graffiti-Kunst. Unter dem Etikett der Urban Art werden aus der Street-Art kommende Künstler zusammengefasst, die die klassischen Interventionen im öffentlichen Raum hinter sich gelassen und Mauern gegen Leinwände eingetauscht haben. Oder anders ausgedrückt: Sprayer, die sich dem Kunstmarkt geöffnet und Einzug in Galerien gehalten haben.
Einer der Ersten, der die europäische Öffentlichkeit vor 30 Jahren mit Sprühkunst konfrontierte, war Harald Naegeli, der als Sprayer von Zürich mit Strichmännchen Berühmtheit erlangte, 1981 seiner Verurteilung zu neun Monaten Haft wegen Sachbeschädigung durch eine Flucht nach Köln (und zu Beuys nach Düsseldorf) entging und es bis in die 20-Uhr-Nachrichten brachte. In Zürich, so ändern sich die Zeiten, restaurierte und schützte man mittlerweile die letzten, damals nicht eliminierten Naegeli-Arbeiten.
Schriftzug der Straßengangs


Etwa 150 Jahre vor Naegeli begannen bereits sogenannte "Gamins", Pariser Straßenjungen, im Stadtraum karikaturenhafte Zeichnungen des damaligen Bürgerkönigs Louis Philippe zu hinterlassen. Etwa 100 Jahre später, um 1930, etablierte sich das sogenannte Tagging dann in den USA als Schriftzug von Straßengangs. Als sich Ende der 60er Jahre in den Staaten das, was man heute im engeren Sinne unter Graffiti versteht, auf Zugwaggons, Trafokästen und Brandmauern ausprägte, avancierte zeitgleich in Hamburg der als "Hofnarr der APO" apostrophierte Peter-Ernst Eiffe zum ersten deutschen Graffitikünstler. Auf Briefkästen, Plakaten, Schildern hinterließ er Sprüche à la "Eiffe for President, alle Ampeln auf gelb", unterzeichnet mit Namen und Adresse.
Der Wiener Graffitiforscher Norbert Siegl nennt heute als wichtigstes Klassifikationsmerkmal für die Frage, ob etwas als Graffiti gelten kann, dass "eine Botschaft ungefragt - ohne den Besitzer der Fläche um Erlaubnis zu fragen - entstanden ist". Die Frage, ob legal oder illegal lässt seine Definition außen vor, weil längst nicht alles, was sich unter den Begriff Graffiti subsumieren lässt, justiziabel ist: etwa, was auf Klotüren oder Sehenswürdigkeiten gekritzelt oder in Bäume geritzt wird. Nicht unbedingt dem unähnlich, was als "Tagging" (Signatur eines Sprayers) die spätere Street-Art mit begründete.
Das in der Möllerhalle der Völklinger Hütte auf 10 000 Quadratmetern gebotene künstlerische Spektrum ist breit: Es erschöpft sich nicht in einer Würdigung der von der Schriftkunst (dem klassischen Writing) geprägten Sprayer, sondern berücksichtigt auch die Maler unter den Sprayern. Das oft gepflegte Vorurteil, wonach Graffiti-Kunst einzig "Schmierereien" liefere, sollten nach einem Möllerhallengang auch dessen standhafteste Verfechter aufgeben müssen.
Bis 1. November täglich 10 bis 19 Uhr. cis
VöLKLINGER HüTTE


Der Internationale Rat für Denkmalpflege, Icomos, wird die Unesco über erhebliche Mängel auf dem Areal der Völklinger Hütte informieren. Nach seiner Einschätzung sind die Trockengasreinigung und das Kraftwerk 1 der Unesco-Welterbestätte einsturzgefährdet. Die Experten kritisieren auch die Nutzung der Gebläsehalle für Ausstellungen. Sie sei dadurch nicht mehr als Industriehalle erfahrbar. Der Generaldirektor der Völklinger Hütte, Meinrad Maria Grewenig, hat die Kritik zurückgewiesen. Die Gebäude seien keineswegs einsturzgefährdet, dies belege ein Statikergutachten. Zudem existiert laut Grewenig ein Sanierungskonzept, in dem explizit auch die Trockengasreinigung und das Kraftwerk auftauchen. Was die Gebläsehalle angehe, so stehe als Ziel fest, dass langfristig der Wasserhochbehälter als Hauptausstellungsort dienen soll. red

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