Mensch ... Robert Hetkämper!

Seit Tagen stehe ich mit Ihnen auf und gehe mit Ihnen schlafen. Der erste und der letzte Anblick des Tages ist ein älterer Mann mit durchdringendem Blick, mal im Schnee, mal in der Sonne, mal im Hellen, mal im Dunkeln, mal mit Mütze, mal im Trenchcoat.

Sie allein entscheiden über meine Stimmungslage: Gibt es hoffnungsvolle Nachrichten aus Japan oder bahnt sich ein neues Desaster an? Herrscht Ruhe in Fukushima oder macht sich die nächste radioaktive Wolke auf den Weg? An Ihren Lippen, Herr Hetkämper, oder an denen Ihrer Kollegen hängt in diesen Wochen die ganze Republik.

Es war schon immer so, dass in Kriegs- und Krisensituationen Auslandsreporter plötzlich zur Identifikationsfigur einer Nation wurden. Eine meiner frühesten Fernseherinnerungen ist der Prager Frühling 1968, als Heinz Metlitzky zwischen den russischen Panzern stand und die blutige Niederschlagung eines Aufstands protokollierte. Wer sich an Vietnam in den 1970ern erinnert, erinnert sich an Peter Scholl-Latour. Die Greuel des Balkan-Krieges ließ Friedhelm Brebeck in den 1980ern lebendig werden. Und die Golf-Kriege 1991 und 2003 erlebte man aus dem Blickwinkel von Ulrich Tilgner.

Offenbar ist die Krise die Domäne der älteren, wettergegerbten Herren mit heiseren Stimmen, der ausgefuchsten Routiniers, die sich weder von lügenden Regierungen noch von sensationsheischenden Heimatredaktionen aus der Ruhe bringen lassen. Die sich auch mal leisten zu sagen, dass sie keine Ahnung haben, wenn der Moderator im warmen Studio wieder mal etwas fragt, was keiner seriös beantworten kann. Die sich im Parka wohler fühlen als im gelackten Zwirn ihrer Jungkollegen mit dem tollen Uniabschluss in Politikwissenschaft.

Als die ersten Hysteriker in Deutschland die Geigerzähler-Läden leer kauften, da standen Sie, Herr Hetkämper, in aller Seelenruhe in Tokio und ließen durchblicken, dass Sie der Entscheidung ihres Senders, ins sichere Osaka umzuziehen, nur höchst ungern folgten. Als aber der Heimattrend auf heile Welt stand und nach guten Nachrichten verlangte, waren Sie es, der die angeblich erfolgversprechenden Rettungsaktionen der AKW-Betreiber als pure Verzweiflungstat brandmarkte. Wo die Nachrichtenkonsumenten Helden wollten, wandten Sie ein, dass es sich bei den Liquidatoren in Fukushima möglicherweise um Zwangsverpflichtete und nichtsahnende "Wegwerf-Arbeitskräfte" handelt, wie sie bei diesem AKW-Betreiber wohl öfter im Einsatz waren.

Bitte bleiben Sie so, wie Sie sind: knorrig, unbequem, der Suche nach der Wahrheit verpflichtet. Irgendjemanden muss es ja geben, dem man dieser Tage noch glauben kann.

Dieter Lintz

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