Mensch…Dagmar Metzger

Da haben Sie es ja mal locker zur Aufsteigerin der Woche, ja des Monats, wenn nicht sogar des Jahres gebracht. Binnen drei Tagen vom Parlaments-Hinterbänkler-Neuling zu der Polit-Heroine, die Ypsilanti stürzt, Beck an den Rand des Abgrunds bringt und Roland Koch doch noch das unverhoffte Verbleiben im Amt ermöglicht.

Das hat ein ganzes Heer von CDU-Wahlstrategen vergeblich versucht. Die "Financial Times" will Ihnen ein Denkmal setzen, die Bild-Zeitung ernennt sie zur "ehrlichsten Politikerin Deutschlands", der FAZ-Reporter hat sich derart in Sie verguckt, dass er ganz verzückt von einer "energischen, hellwachen", dazu auch noch "groß gewachsenen, eleganten Frau" schreibt, "die man nicht übersieht". Warum hat seine Zeitung Sie eigentlich vorher nie entdeckt?Egal: Respekt vor Ihrer Bereitschaft, den Kopf für die eigenen Überzeugungen hinzuhalten und damit die Polit-Karriere zu opfern. "She's got balls", würden die Amerikaner über Sie sagen, eine anatomisch nicht ganz korrekte Aussage, deren deutsche Übersetzung wir gerne Oliver Kahn überlassen. Aber wie viel Traute man braucht, konnte der geneigte Beobachter an der hysterischen Reaktion mancher SPD-Apparatschiks ablesen, die offenkundig Leute, die sich ein eigenes Gewissen leisten (und dem auch noch folgen), am liebsten aus der Partei schmeißen. Sie sind denen nix schuldig, zumal Sie Ihren Wahlkreis direkt dank Ihrer Wähler gewonnen haben, nicht aufgrund von parteiinternem Listen-Proporz.Aber gerade in diesem Zusammenhang geht mir eine Frage nicht aus dem Kopf. Ihre Gewissensentscheidung in allen Ehren, aber wie ist das denn nun, was Ihre Wähler angeht, tatsächlich mit der Ehrlichkeit und den gehaltenen oder gebrochenen Versprechen? Die Leute in Ihrem Wahlkreis haben Sie gewählt, weil Sie - allein durch Ihr Antreten - versprochen haben, eine neue Politik für Hessen durchzusetzen. Weil Sie versprochen haben, Frau Ypsilanti zur Ministerpräsidentin zu wählen. Weil Sie versprochen haben, Herrn Koch abzulösen. Alle drei Versprechen haben Sie gebrochen. Weil Sie ein viertes gerne halten wollten, das Ihnen offensichtlich wichtiger war. Es war Ihr gutes Recht, als frei gewählte Parlamentarierin in einem für Sie unlösbaren Interessenkonflikt, der durch das Wählervotum entstanden ist, so zu entscheiden. Aber gilt das nicht auch für Ihre Kollegen, die sich dafür entschieden haben, ihr Wort in einem anderen Punkt zu brechen, um den von ihnen versprochenen Politik- und Personenwechsel zu ermöglichen?Hut ab vor Ihrem persönlichen Mut, Frau Metzger. Aber eine moralische Heldensaga daraus zu stricken, wie es jetzt manche tun, ist vielleicht doch ein bisschen zu einfach. Dieter Lintz

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