Mensch... Marcel Reich-Ranicki!

Da haben Sie ja eine Punktlandung hingelegt! Spektakulärer hätte Ihr Auftritt bei der pompösen Verleihung des Deutschen Fernsehpreises nicht sein können. Sie haben getan, womit keiner gerechnet hat.

Sie haben die renommierte Auszeichnung abgelehnt. Und das natürlich nicht ohne eine entsprechende Begründung, die Sie in gewohnt pointiert-ironischer Weise lieferten. "Ich kann das nicht annehmen. Und ich finde es auch schlimm, dass ich das hier vier Stunden erleben musste... Man kann im Arte-Programm manchmal sehr schöne, sehr wichtige Sachen sehen", sagten Sie und legten noch eine Schippe drauf, indem Sie den Gala-Abend als "Blödsinn" bezeichneten.

Das Publikum, darunter so schillernde Persönlichkeiten wie "Deutschland-sucht-den-Superstar-Moderator" Marco Schreyl, Moderatorin Jenny Elvers-Elbertzhagen oder RTL-Star Hugo Egon Balder, wusste gar nicht, wie ihm geschah. Es grinste und applaudierte munter weiter, während Sie genau diesem Publikum eine verbale Ohrfeige verpassten, die es in sich hatte.

Recht so! Denn, mal ganz ehrlich, besonders anspruchsvoll ist der Fernsehabend am Samstag eher selten. Die wirklich interessanten Beiträge laufen meist unter der Woche, und dann häufig ab 22 Uhr. Und mit Ihrem "Blödsinn" haben Sie bestimmt vielen Menschen aus dem Herzen gesprochen. Die sind das ständige Selbst-Beweihräuchern und den exzessiven Pomp, der nun auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen Einzug gehalten hat, dermaßen leid, dass sie an besagten Samstagabenden viel lieber Freunde zum gemeinsamen DVD-Schauen und Weintrinken einladen.

Aber trotzdem stimmt Ihr Verhalten mich etwas nachdenklich. Also mal ganz ehrlich - als "junger Wilder" wäre solch ein Auftritt problemlos durchgegangen. Schließlich haben Sie das Publikum damit gehörig brüskiert - falls es das inzwischen begriffen hat und ihm das Grinsen vergangen ist.

Aber als Deutschlands Literaturpapst Nummer 1 war Ihr Auftritt - immerhin im reifen Alter von 88 Jahren - reichlich exaltiert.

Sie hätten doch eigentlich am Samstagabend zuhause bleiben können, als die Sendung produziert wurde und erst gar nicht zur Preisverleihung erscheinen können. Aber richtig, es war eben ein Samstagabend und vielleicht war Ihr DVD-Player am Wochenende kaputt, der Weinkeller leer, nichts Neues im Buchregal und im Fernsehen lief ohnehin nichts Niveauvolles.

Da dachten Sie sich wohl schelmisch "jetzt hau ich mal auf den Putz!", frei nach dem Motto ,Je oller, desto doller' und sind dann doch hingegangen.

Hans-Peter Linz

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