Mensch... Rainer Brüderle!

Trier · Da haben Sie fast Ihr ganzes politisches Leben auf der Sonnenseite zugebracht, Weinköniginnen geküsst, Audienzen in Handwerkskammern gehalten, Autobahnteilstücke eröffnet. Sie durften bei hochkarätigen Konferenzen nach Herzenslust vom Pferd erzählen, und alle mussten Ihnen geduldig zuhören, auch wenn niemand das Genuschel verstand.

Die Welt war in Ordnung, unversehens handelte man Sie sogar an höchsten Stellen wie Spiegel und FAZ als potenziellen Nachfolger von Guido Westerwelle. Aber jetzt ist das Highlife auf einen Schlag vorbei. Wer irgendwo einen Sündenbock zum Abwatschen braucht, nimmt einfach Sie. Als "Problembär" wurden Sie tituliert, die ersten Jungliberalen legen schon das Zielfernrohr für den Abschuss an. Heiner Geißler, der in seinem politischen Leben auch nicht immer nur Kluges gesagt hat, befand in Sachen Brüderle, nichts sei so unendlich wie das Weltall und die Dummheit mancher Politiker. Herr Mappus bedankte sich sarkastisch bei Ihnen für die Wahlhilfe.

Ich finde das zutiefst ungerecht. Und ein bisschen tragisch auch. Schließlich ist bis dato nicht bewiesen, dass Sie im trauten Industriellen-Kreis tatsächlich gesagt haben, das Moratorium sei nur ein Wahlkampf-Trick. Es hat völlig ausgereicht, dass alle Ihnen so was zutrauen.

Aber selbst wenn Sie's gesagt haben: Statt Sie zu prügeln, müsste doch das ganze Volk dankbar sein, dass wenigstens einer aus der Gaukeltruppe die Traute hat, zu sagen, was er wirklich meint - pardon, zwei, ich habe den alten Helmut Kohl vergessen. Dass die Angst vor der atomaren Katastrophe eine irrationale Hysterie ist, dass man für billige Energie eben die Möglichkeit von Kollateralschäden hinzunehmen bereit sein muss, dass es kein Leben ohne Rest-Risiko gibt: Das war 30 Jahre unverrückbare schwarz-gelbe Position. Und Sie, Herr Brüderle, haben einfach nicht gemerkt, dass der Wind aus Fernost so schnell gedreht hatte, dass nur noch die Flottesten es schafften, ihr Mäntelchen rechtzeitig hineinzuhängen. Sie seien der Kanzlerin in den Rücken gefallen, befand die Zeit. So ein Quatsch: Als Sie ihr Plauderstündchen beim BDI hatten, konnten Sie noch gar nicht wissen, in welche Richtung Angela Merkel sich bewegt. Vielleicht wollten Sie sich ja nur schützend vor Frau Merkel werfen, aber die hatte im selben Moment um 180 Grad gewendet. Da kann man doch nichts dafür, wenn man jemandem versehentlich ins Kreuz tritt.

Sei's drum: Es sieht so aus, als wäre Ihre Laufbahn bald beendet. Mit der Aufgabe des Jobs als Chef der außerparlamentarischen Opposition in Rheinland-Pfalz wird das nicht getan sein. Aber keine Angst: Ein Plätzchen als Weinkönig in Trittenheim wäre bestimmt für Sie frei.

Dieter Lintz

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