Missverständnisse zwischen Mauern

TRIER. Annäherung an Leben und Werk des Künstlers soll die Beuys-Ausstellung bringen, die heute um 19.30 Uhr in der Galerie Palais Walderdorff in Trier eröffnet wird. Die Schau erinnert auch an die spektakuläre Aktion, die Beuys mit seinen Schülern 1969 im Trierer Simeonstift veranstaltete.

Ein Hammer lärmt, eine Mauer bricht ein, Staub hängt in der Luft. Das geschieht keineswegs auf einer Baustelle, sondern im ehrwürdigen Museum Simeonstift, das am Abend des 25. April 1969, ein Freitag, unfreiwillig Objekt einer Kunst-Aktion wird. Damals besuchte Joseph Beuys mit seinen Schülern Trier - und sorgte mit seiner Aktionskunst für einen heftigen Skandal, an den heute, 26 Jahre später, eine Ausstellung erinnert. Rund 80 Exponate auf zwei Ebenen im Palais Walderdorff in Trier zu sehen, Objekte ganz verschiedener Art - Zeitungsseiten, ein Anzug, unter einem Banner "Difesa della Natura" (Verteidigung der Natur) Manifeste des Kampfs gegen Umweltzerstörung, in Vitrinen die berühmten Fettobjekte und eine ganze Wand voll von Dokumenten mit persönlichem Bezug. Andreas Jakobs, Vorstand der Trierer Gesellschaft für Bildende Kunst, hat die Verbindung hergestellt zu Erhard Klein, dem Freund und Vertrauten von Beuys, dessen Galerie seit 1973 Beuys-Ausstellungen veranstaltet. Man suche, sagte Andreas Jakobs, eine Annäherung an Leben und Werk des Künstlers und an seine Ästhetik. Für Beuys (1921-1986) war die Verbindung von Kunst und Leben genau so wesentlich wie die Zeitbezogenheit und Zeitgebundenheit von Kunstwerken. Seine Ästhetik hat viel zu tun mit Offenheit, Flüchtigkeit, aber auch der Utopie vom "ganzen Menschen" und nichts mit dem Erhabenen scheinbar sakrosankter Meisterwerke. Die Ausstellung zeigt auch, wie wenig sich Beuys' Kunstbegriff in abgeschlossenen Werken manifestiert. Seine Arbeiten eröffnen Assoziationsfelder, ohne den Betrachter festzulegen. Zum Beispiel die "Capri-Batterie" von 1985, ein Holzkästchen mit hölzerner, beschrifteter Einlage und davor eine gelbe Glühbirne, deren Stromkontakt in einer Zitrone steckt. Da soll über die Verbindung von Metall und Säure tatsächlich ein schwacher Strom fließen. Capri und Zitrone - da klingt noch Unzähliges mit: südländische Stimmung, Ferienlaune, auch die Sehnsucht nach Wärme, physikalisch wie psychologisch. Freilich - diese Arbeiten zeugen von einem gereiften, gelassenen Künstler. Wie anders dagegen die Aktion des jungen Beuys, die im April 1969 Trier erschütterte. Damals vermauerten die Schüler den Museumseingang, Jörg Immendorff schlug ein Loch in die ehrwürdige Außenmauer des Simeonstifts, ein anderer Schüler kroch durch die Beine der Besucher - es waren bei der Eröffnung schätzungsweise 1000 - ein Rekord. Draußen protestierten die 68er, weil ihnen die Angelegenheit nicht politisch genug vorkam, und an den Stammtischen kochte die Empörung hoch - ein seltener Schulterschluss zwischen Bürgertum und linker Szene. Während Formulierungen wie "Toiletten-Ästhetik" kursierten, schrieb TV -Kulturredakteur Hans Ludwig Schulte verständnisvoll-kritisch: "Man wird mit Recht fragen, ob das denn notwendig sei. Andererseits wirft die Ausstellung zweifellos ein breites Schlaglicht auf die Gedanken- und Gefühlswelt des Künstlernachwuchses von heute, der sich offenbar an einem Nullpunkt fühlt und der auch den modernen, von den Galerien gesteuerten Kunstbetrieb in seine Kritik mit einbezieht. Dass diese Kritik ohne Grund sei, kann niemand ernstlich behaupten." In derselben Ausgabe kommentierte TV -Redakteur Norbert Kohler: "Wären Einbrecher in der Nacht in das Museum eingedrungen, sie hätten wohl kaum mehr Durcheinander und Schmutz zurücklassen können (...) Man soll heute nicht sagen, niemand hätte wissen können, daß diese Aussstellungseröffnung so enden würde. Die Gruppe Beuys ist nicht unbekannt. Der Schaden wird auf 10 000 DM veranschlagt." Ganze sechs Tage später war die Ausstellung der Beuys-Schüler schon wieder vorbei. Hans Ludwig Schulte in einem Nachruf: "Missverständnisse können zu Mauern werden, hinter denen die einen lächerliche Bürger und Banausen, die anderen Scharlatane und Kulturvernichter vermuten. Zwischen diesen Mauern ist die Ausstellung im Trierer Simeonstift verendet. Das bleibt zu bedauern, weil sie zu einer breiten Belebung der Trierer Kunstdiskussion hätte führen können, zumal unter dem so interessierten jugendlichen Publikum. Vielleicht ist aber dennoch von ihr einige positive Unruhe ausgegangen." Diese positive Unruhe soll nun wieder zu spüren sein. D ie Vernissage findet heute um 19.30 Uhr statt. Mit dem Besuch der Beuys-Klasse im Städtischen Museum Simeonstift befasst sich ein Vortrag von Johannes Stüttgen am Donnerstag, 13. Januar. Weitere Veranstaltungen: Freitag, 21. Januar, "Gesamtkunstwerk Joseph Beuys" (Eckart Strohmaier), Freitag, 4. Februar, "Akustik und Musik bei Joseph Beuys" (Thomas Groetz) und Freitag, 11. Februar, der Videoabend "Fettecke". Beginn jeweils um 19.30 Uhr im Vortragssaal der VHS.Öffnungszeiten: Di bis Fr 11-13 und 14-17 Uhr, Sa 10-13 und 15-18 Uhr, So 10-13 Uhr.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort