Mit Bogey um Bergman balzen

NEW YORK. Noch ist es ein Geheimtipp. Vermutlich nicht mehr lange. In New York hat "Movieoke" das fernöstliche Vergnügen "Karaoke" abgelöst. Es wird nicht mehr gesungen; jetzt wird gespielt.

Karaoke heißt soviel wie "leeres Orchester" - eines also ohne menschliche Stimme. Seit geraumer Zeit ergötzen sich die Menschen weltweit an diesem Freizeitspaß, der um 1970 in Japan erfunden wurde. Die Musik kommt vom Band, der Text vom Teleprompter, der Sänger aus dem Publikum. Ein Gaudium ist‘s natürlich vor allem für die Zuschauer, die den Interpreten hemmungslos niederpfeifen, wenn der talentlos zwischen Text und Tönen absäuft. Doch Karaoke war gestern, Movieoke ist heute. Der Japanglo-phile ahnt bereits, worum es geht: um Filme. Obwohl die Wortschöpfung nicht ganz korrekt ist, bedeutet doch die Silbe "kara" leer und "oke" Orchester. So heißt der neue Zeitvertreib skurrilerweise "Filmorchester".Wie man aus einer Marotte Moneten macht

Der Spaß begann im "Two Boots" im New Yorker East Village. Dort probierte die Regisseurin, Drehbuchautorin und - mangels Filmaufträge - Besitzerin oben erwähnter Kneipe, Anastasia Fite (24), die Idee aus, die ihr kam, als sie Leute beim Anschauen von DVDs beobachtete: Viele murmelten nämlich die Texte der Filme mit. Warum aus dieser Marotte keine Moneten machen, dachte sie - und inzwischen wird der Einfall in vielen US-Städten und in Kanada kopiert. Auch aus Berlin soll bereits eine Anfrage vorliegen, um die erste deutsche legitime Movieoke-Kneipe eröffnen zu können (in hauptstädtischen Hinterhofschuppen, so geht die Fama, wird derlei nämlich schon praktiziert). Nachdem sich Millionen Menschen in aller Welt in den Kneipen zwischen Osaka und Oldenburg als Möchtegernsänger(innen) zum Affen gemacht haben, ist beim neuen Gesellschaftsspiel ganzer Körpereinsatz und wandlungsfähige Mimik gefragt. Das "Two Boots" wird jeden Mittwoch zum randvollen "Den of Cin" (etwa: Höhle des Kinos, oder, unübersetzbares Wortspiel, "Sündenpfuhl"). Talent hin, Begabung her: Echte Filmfans und begnadete Selbstdarsteller imitieren wort- und gestenreich die klassischen Momente der Kinogeschichte, während die wirklichen Stars auf der Leinwand nur die Lippen bewegen. Es zeichnen sich bereits einige Lieblingsszenen ab. Humphrey Bogart ist erklärter Favorit männlicher Filmfreaks fortgeschrittenen Alters, während die jungen Wilden gerne Robert de Niro als "Taxidriver" durch den Hexenkessel New York begleiten. Eher grenzwertig sind jene Herren einzustufen, die Tony Curtis und Jack Lemmon in "Manche mögen‘s heiß" nacheifern oder sich in den "Käfig voller Narren" sperren lassen. Ob die Amateurakteure dazu in Frauenkleider schlüpfen, bleibt ihnen jedoch freigestellt. Natürlich haben auch die Damen ihre bevorzugten Stars: Die Romantikerinnen unter ihnen lieben Vivien Leighs Scarlett aus "Vom Winde verweht", die robusten die Bette Davis-Figuren, und die vorwitzigsten spielen am liebsten Meg Ryans Orgasmusszene aus "Harry und Sally" nach. Diese zweieinhalb Minuten - so schnell kann‘s gehen, wenn‘s nur als ob ist - wurden allerdings mittlerweile so inflationär dargeboten, dass sie inzwischen nur noch unwilliges Murren im Auditorium provozieren, wenn eine Movieokerin diesen filmischen Höhepunkt ankündigt.Wer nicht überzeugt, wird zum Filmschänder erklärt

Noch wenig Abnutzungserscheinungen zeigt dagegen die Szene mit dem Selbstgespräch der persönlichkeitsgespaltenen Kreatur Gollum aus dem zweiten "Herr der Ringe"-Teil ("Wir wollen ihn! Wir brauchen ihn! Wir müssen ihn haben, den Schatz!") oder die getürkten Selbstmordversuche des todessehnsüchtigen Harold aus Hal Ashbys Kultfilm "Harold und Maud".Am größten ist natürlich der Jubel, wenn die berühmten Szenen von irgendwelchen Witzbolden verhohnepiepelt werden. Allerdings ist es auch ein Risiko für den Darsteller: Kann er das Publikum mit seinen Improvisationen nicht überzeugen, wird er als Filmschänder von der Bühne gebuht.Anastasia Fite will auch verklemmten Filmfreaks eine Chance geben. Deshalb bekommen ihre Kunden das erste Bier stets gratis. Das enthemmt in der Regel zwar nicht gravierend, hat aber zumindest in Ansätzen Lampenfieber senkende Wirkung. Wenn dann wirklich das Eis gebrochen ist, kriegt mancher Darsteller sogar Lust auf einen richtigen Pornofilm. Auch der ist im Angebot, für Imitatoren mit Asthmaproblemen jedoch nicht zu empfehlen, da sich das Künstlerische weitgehend auf Stöhnen und Japsen beschränkt.Miss Fite jedenfalls ist überzeugt: "Solange man keine Angst hat, sich lächerlich zu machen, wird es eine echte gemeinschaftliche Erfahrung". no/hpl

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