Mit Darwin durch den Dschungel

Das Feuilleton kann grausam sein: Nach all den Verrissen für die RTL-Dschungelshow "Ich bin ein Star - holt mich hier raus" gibt es für die vierte Auflage nun verstärkt wohlwollende Besprechungen. Ein gutes Zeichen dafür, dass das Ende nah ist, findet TV-Reporter Andreas Feichtner.

 Steil: Ingrid van Bergen und Nico Schwanz (Bild oben links). Schmatz! Gundis Zàmbó) und Lorielle London (Bild oben rechts und links unten). Erschöpft: Ingrid van Bergen (unten rechts). Fotos: RTL

Steil: Ingrid van Bergen und Nico Schwanz (Bild oben links). Schmatz! Gundis Zàmbó) und Lorielle London (Bild oben rechts und links unten). Erschöpft: Ingrid van Bergen (unten rechts). Fotos: RTL

Wohnzimmer/Dschungel. (AF) Die brennendsten Fragen zur Lage der Fernsehnation: Ist es menschenverachtend, wenn ein halbprominenter Schauspieler wie Günther Kaufmann an ein drehendes Rad gehängt wird und er sich dann kopfüber in Bottiche mit Fischresten oder Kakerlaken dippen lässt? Schüren Formate wie das "Dschungelcamp" Zynismus? Geht im künstlichen Urwald das Abendland unter? Und überhaupt: Hat der Volksfreund-Reporter sein Gehirn bei "Ebay" versteigert, dass er sich so etwas ohne Not antut?

Wenn Sie auf diese Fragen jeweils mit "ja" geantwortet haben, sind Sie - mit Verlaub - aber so was von "out". 2004, bei der Camp-Premiere, wären sie damit ungeschoren durchgekommen. Vielleicht sogar noch 2008. Seit am Wochenende bei der vierten Staffel von "Ich bin ein Star - holt mich hier raus!" wieder zehn mehr oder weniger unbekannte Ex-Sportler, Ex-Sänger oder Ex-Schauspieler ins Aussie-Exil umgezogen sind und ihnen dabei knapp sechs Millionen Menschen zuschauen, weht ein neuer Wind durch die Zweck-WG. Das heißt: eigentlich ist zwar alles exakt wie immer. Die Lästereien, das Gezicke, das Weichliche, das Machohafte, die Belanglosigkeiten, die Oberflächlichkeit. Die Selbstironie als Mittel zum Zweck, das gähnend Vorhersehbare (Die transsexuelle Lorielle muss zur Dschungelprüfung. Es gibt Känguru-Penis. Lecker.) Das gegenseitige Aufblasen des großen Nichts mit der Bild-Zeitung. Und der Funke Solidarität, wenn das Wohl der Gruppe auch dem Einzelnen hilft.

Aber die Rezeption in den Medien ist neu. Die Zeit der Verrisse ist fast überall passé. Es wurde schließlich schon alles abgefackelt, durch den Zeilen-Wolf gedreht, ein Gemetzel in Spaltenbreite, so glühend und bitterböse wie nutzlos. Das ganze Alphabet wurde bemüht, um die Promi-Hierarchie der Dschungel-Camper angemessen zu klassifizieren. Und jetzt soll man bitteschön Hihihi-Witze machen über ein ostdeutsches Model, das mit Nachnamen "Schwanz" heißt?

Die Rache des Feuilletons für all die Grausamkeit ist subtiler. Sie heißt: loben, loben, loben. So mag man den wohlwollenden Vergleichen auch gern zustimmen: "lustiger als Mario Barth" fand die "Rheinische Post". Auch "Spiegel online" gibt sich sanft: "Spannender als jede Chart-Show mit Oliver Geißen" war da sinngemäß zu lesen. Aber so ist es nun einmal mit Vergleichen: Akne mag auch erfreulicher sein als etwa Leberzirrhose. Aber das tröstet keinen Patienten und kaschiert keinen Pickel.

Es gibt dabei kein Entrinnen. Das gilt für Fans und Feinde der Sendung. Es gilt für diejenigen, die aufgeregt die Dschungelprüfungen nacherzählen. Und auch für jene, die in Gedanken gerade schon hypertonisch den Leserbrief vorformulieren: Was bitte hat denn so ein Müll auf der Kulturseite verloren? Die Sendung als solches: nichts. Sobald sie den Weg allen irdischen Trash-Fernsehens gegangen ist. Die Mission GAGA: Gesteuerte Aufregung, Gewöhnung, Abnutzung. Dann zum finalen Ausquetschen an die hinteren Kanäle verramscht. Und letztlich abgesetzt. Big Brother hat ein paar Jahre Vorsprung. Das Dschungelcamp wird nachziehen. Schon, weil sich der Ekel endgültig abnutzt. Bereits jetzt lassen sich viele Marvins und Lenas wieder effektiver mit Omas hausgemachten Wirsing schocken, als mit ein paar possierlichen Kakerlaken. Aber noch polarisiert das Format. Noch bleibt es ein Gesprächsthema, über das sich entspannter debattieren lässt als über den Gazastreifen oder die Wirtschaftskrise.

So sagt die Dschungelshow einiges über die Gesellschaft im Jahr 2009 aus. Ein Jahr, das ganz im Zeichen der beiden großen Jubiläen steht. 200 Jahre Charles Darwin, 25 Jahre RTL. Wenn sich also der Affe - frei nach Darwin - zum Menschen entwickeln kann, warum sollte sich der Mensch nicht auch zum Affen machen dürfen? Das ist legitim, geht auch viel schneller. Und Zeit hat man bekanntlich nie zu viel. Höchstens mal vor dem Fernseher.

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