Mit der Legende leben gelernt

Eine lebende Legende macht in Trier Station: Die Sängerin Joan Baez kommt am Donnerstag, 10. Juli in die Europahalle. Zwischen zwei Terminen ihrer aktuellen Tournee, die durch ganz Europa führt, stand sie TV-Redakteur Dieter Lintz Rede und Antwort.

Trier. (DiL) Ikone der Woodstock-Generation, Stimme der Friedensbewegung, Gewissen der 68er-Revolution: An Etiketten hat es Joan Baez nie gefehlt. Lange hat sie sich mit ihrem Image arrangiert, aber in den letzten zehn Jahren geht sie zunehmend neue Wege - künstlerisch und privat. Sie sind auf Tour mit einer neuen CD, die im September erscheint, die erste seit fünf Jahren. Was ist denn das Besondere an "Day after tomorrow"?Baez: Vielleicht, dass sie nach 50 Bühnenjahren einige Reminiszenzen an meine frühen Zeiten enthält, die mir sehr gut gefallen. Mein Produzent Steven Earle und seine tollen Musiker haben eine große Schlichtheit, aber auch viel Spaß hineingebracht. Sie werden lachen, aber ich höre die CD einfach selber total gern. Das Album klingt gerade von Ihrem Gesang her sehr unpathetisch, fast pur. Wie ist das entstanden?Baez: Meine Stimme hat sich enorm verändert, und ich konzentriere mich auf ihre Stärke, und das sind Tiefe und Klang. Das Vibrato, das Sie vielleicht meinen, ist nicht mehr da… …Sie klingen aber sehr frisch und unverbraucht, wie macht man das?Baez: Ach je, das ist echte Höllen-Arbeit. Zuhause arbeite ich mit einem Stimm-Trainer, und unterwegs brauche ich jeden Tag mindestens zwanzig Minuten Stimmübungen. Als ich die Titel der neuen CD gelesen habe, "God is god", "Requiem", "Jericho Road" , "Before Mary", da habe ich gedacht: Ach du lieber Gott, jetzt ist die Baez fromm geworden. Sind Sie's? Baez: (lacht) Sie meinen, als wiedergeborene Christin? Nein, nein, keine Angst, das ist eher ein Zufall. Obwohl…die Songs haben schon damit zu tun, was die innere Glocke zum klingen bringt. Vielleicht gibt es da Ebenen, die mir gar nicht bewusst sind. Wir hatten übrigens noch einen Titel, der sich mit "Maria" beschäftigte, der ist dann zum Glück nicht mehr drauf gekommen, sonst wäre dieser Eindruck noch stärker. Sie sind also immer noch ein politischer Mensch, ohne Anzeichen von Resignation? Baez: Also ich stehe nicht mehr fahnenschwingend in der ersten Reihe. Und wenn in der Öffentlichkeit auch mal das Bild einer Joan Baez ins Bewusstsein rückt, die ihre 95 Jahre alte Mutter pflegt und mit ihrem Enkelkind spielt, ist das gut so, denn es ist ehrlich, und es ist mindestens so wichtig wie alles andere was ich mache. Aber da, wo ich was tun kann, und wo es mir drauf ankommt, engagiere ich mich weiterhin. Vier Jahrzehnte nach der 68er-Revolution: Ist die Welt denn wenigstens ein bisschen besser geworden?Baez: Tja. Das hängt ganz davon ab, wo Sie auf dieser Welt leben. An manchen Plätzen ist sie besser, an anderen schlimmer als je zuvor. Aber dass sich zumindest in den USA etwas bewegt, sieht man an der Nominierung von Obama… Wäre der denn ohne Woodstock und die Gesellschaftsveränderungen dieser Zeit überhaupt denkbar? In den sechziger Jahren hätte er als Schwarzer wohl kaum antreten können.Baez: Ich weiß nicht, das ist ja doch schon ziemlich lange her, und ich habe keine Ahnung, ob Woodstock da eine wesentliche Rolle gespielt hat. Es geht nicht nur um die Hauptfarbe, es hat vieles mit der Person Obama und ihren Ansichten zu tun. Colin Powell als Präsidentschaftskandidat hätte mich weniger interessiert. Wie ist es eigentlich, wenn man überall als lebende Legende gilt. Wird man dieser Last manchmal müde?Baez: Ich finde das heute eigentlich ganz schön. Früher hat es mich gelegentlich gestört, vor allem in Zeiten, wo ich selber mit meiner Arbeit nicht ganz glücklich war. Ich habe in den letzten zwanzig Jahren intensiv an meiner Musik gearbeitet, und ich bin mit dem künstlerischen Ergebnis ziemlich zufrieden. Da ist das Dasein als lebende Legende eine Art Sahnehäubchen. Sie haben irgendwann verraten, dass Sie manchmal HipHop hören. Wenn Ihr nächstes Album erscheint, vielleicht in fünf Jahren, erleben wir dann Joan Baez mit einem HipHop-Song?Baez: Aus dem Rollstuhl, oder wie? Nein, im Ernst: Ich weiß nicht, ob ich in fünf Jahren nochmal ein Album mache. Aber wenn, dann zweifle ich sehr, dass HipHop dabei ist. Tickets gibt es in den TV-Pressecentern in Trier, Bitburg, Wittlich.ZUR PERSON Joan Baez wurde 1941 in New York geboren. Mit 18 trat sie erstmals auf, in den frühen 60er Jahren stand sie mit Bob Dylan, der zeitweise auch ihr Lebensgefährte war, an der Spitze der Folkbewegung. Ihr A-cappella-Auftritt in Woodstock machte Musikgeschichte. Traditionelle Titel wie "We shall overcome", "Farewell Angelina" und "The night they drove old Dixie down" wurden durch sie zu Volksliedern. Baez empfand sich stets als politisch engagierte Kämpferin für Frieden und Menschenrechte. 1985 eröffnete sie das Live-Aid-Konzert in Amerika. Seit Mitte der 90er arbeitete sie verstärkt mit jüngeren Liedermachern zusammen. Auf ihrem im September erscheinenden Album "Day after tomorrow" singt sie unter anderem Titel von Elvis Costello, Tom Waits und Steven Earle. Bei Konzerten mischt sie stets Solo-Auftritte mit Band-Stücken. (DiL)

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