Trier Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da

Trier · Mit unbändiger Spielfreude verausgabten sich das Schauspielensemble des Theaters und die Band von Horst Maria Merz beim „Tanz auf dem Vulkan“ im Trierer Brunnenhof. Auch wenn die corona-konforme Fassung der Revue über Trier und die Zwanziger Jahre auf manchen Tanz verzichten musste.

 Ausgelassen und spielfreudig präsentieren sich Schauspieler und Musiker zum Abschluss der Sommerreihe des Theaters im Brunnenhof bei der Revue „Auf dem Vulkan“.

Ausgelassen und spielfreudig präsentieren sich Schauspieler und Musiker zum Abschluss der Sommerreihe des Theaters im Brunnenhof bei der Revue „Auf dem Vulkan“.

Foto: TV/Verona Kerl

Nur wenige Meter vom ehemaligen Café Astoria entfernt hat das Trierer Theater das legendäre Tanzlokal wieder aufgebaut. Zumindest den Bistrotisch, an dem der Komponist und Autor Louis Scheuer einst zu speisen pflegte. Hier traf sich die Szene zum Kaffee und zum Jazz. Astoria ist verschwunden, ebenso das Kaufhaus Hägin nebenan, wo demnächst auch Karstadt schließt. Aber der Geist der 20er Jahre – er lebt noch, wie das ­Schauspielensemble unter der Regie von Intendant Manfred Langner und Horst Maria Merz (Musik) am Freitag eindrucksvoll unter Beweis stellte. Auf der Sommerbühne im drei Mal ausverkauften Brunnenhof beschwört das Theater eine Ära herauf, die als golden verklärt und gefeiert wird –  Friedensjahre voll kultureller Dynamik, in die sich immer dunkler der Schatten des Nazitums legt.

Schon vor der Schließung des Theaters wegen der Corona-Pandemie war die im Winter uraufgeführte Revue „Ein Tanz auf dem Vulkan“ ein Publikumsrenner, die Vorstellungen im Großen Haus ausverkauft. Für die Sommerbühne schrieb Langner eine neue Fassung – „ohne Tanz und große Ausstattung“, wie er ankündigte, „dafür mit viel Musik und Texten“. Wobei „ohne Tanz“ reichlich untertrieben ist – eine brodelnde Gesellschaft und eine quirlige Theatertruppe hat Bewegung im Blut. Ob beim zeittypischen Charleston, den inbrünstig geschmetterten Schlagern („Wochenend und Sonnenschein“, „Ich hab das Fräulein Helen baden sehn“) oder dem Schunkellied „O Mosella“) – die Musik des mitreißenden Sextetts um Horst Maria Merz fließt den Schauspielern sofort in Beine und Arme. Die stilechten Kostüme, Reminiszenzen an Comedian Harmonists, weltumspannenden Radioempfang und den Aufbruch der Frauen für gleiche Rechte zaubern die schöne alte Zeit in die neuen Twenties. Ein paar Gags auf die Corona-Umstände müssen wohl sein, sie sorgen bei den 150 Besuchern für Lacher, etwa der Anmeldebogen im Astoria wegen der spanischen Grippe oder der Abwehrreflex gegen eine stürmische Begrüßungsgeste. Ansonsten hat Langner den Raum im Brunnenhof so geschickt genutzt, dass das Setting der Akteure die Handlung nicht stört. Im Gegenteil schafft der intime Rahmen neue Möglichkeiten: Klaus-Michael Nix hängt sich einmal ans Gestänge der Bühne, um den fiesen Nazi (Michael Hiller) bei „Mein Gorilla im Zoo“ zu erschrecken. Und Bianca Spiegel verkündet die Wahlergebnisse der Weimarer Zeit vom Arkadengang des Simeonstifts.

Doch der Reihe nach: „Auf dem Vulkan“ spielt sowohl in den 1920er Jahren als auch in der Zukunft. Dort hat die Kanzlerin abgedankt und die neue rechte Regierung mit ihrer nationalistischen Wende begonnen („Wenn wir kommen, dann wird ausgemistet“). Ein Vertreter der Bundeskulturkammer platzt in Trier in die Generalprobe am Theater, wo eine Revue der 1920er Jahre läuft, und droht schon mal mit Streichung der staatlichen Förderung für alles Missliebige. Was dumpfer Fremdenhass und plumpe Anbiederung nicht vermögen, schaffen schließlich Wirtschaftskrise, Inflation und soziales Elend („Habe Hunger, mache alles“). Am Ende sind auch in Trier nicht mehr alle brav katholisch, sondern huldigen dem leibhaftigen Führer zu Tausenden. Mit feiner Ironie inszeniert, sitzt dieser am Platz des Juden Louis Scheuer, der seine Heimat verlässt („solange ich noch selbst entscheiden kann, in welchen Zug ich steige“), ein Double des Führers, derweil der echte sich in Norman Stehr mit weißem Schnäuzer getarnt etwas abseits hält. Sind das die Schreckgespenster der Vergangenheit? Oder ist es auch ein Blick in die Zukunft? „Alles kommt einmal wieder, wie es vor Jahren war“, zitiert Stephanie Theiß und spricht damit die ernsthafte, etwas belehrende Seite der Inszenierung an. Als das Stück im Stück endet und der Nazi-Darsteller mit dem Vogelschiss auf der Jacke seine Rolle abgeben möchte, will niemand sie haben.

Theater Trier: Mit "Auf dem Vulkan" geht im Brunnenhof die Spielzeit zu Ende
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Bilderstrecke: Revue „Auf dem Vulkan“ im Brunnenhof

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Foto: TV/Verona Kerl

Sicherlich nicht nur, weil Schauspieler Michael Hiller den bedrohlich-biederen Parteigänger so glänzend auf die Bühne zu bringen versteht, mit dessen kaltem Fremdenhass und zugleich der rührseligen Volksduseligkeit. Seine Glanz- (und Lach-)nummer: wie er die Hüllen fallen lässt und in wenig schmeichelhafter Unterwäsche eine Tanz  hinlegt.

„Was ist der Unterschied zwischen einem Optimisten und einem Realisten? Der Realist hat aus der Geschichte gelernt“, lässt sich das Publikum erklären. Die Botschaft am Schluss sehr deutlich: „Sie haben die Wahl.“ Schlafen Sie gut! Und dann fallen alle ein in den nostalgischen Gassenhauer „Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da“. Nach den Standing Ovations erklatscht das Publikum mühelos eine Zugabe: „Es ist so schön, am Abend bummeln zu gehen.“ Die  dankbaren Besucher klatschen mit. Die Sommerbühne, so scheint es nach dreieinhalb Wochen, könnte es nach dem großen Anfangserfolg  auch künftig geben – ohne Corona.

Die Schauspieler: Paul Hess, Michael Hiller, Klaus-Michael Nix, Anna Pircher, Gideon Rapp, Dimetrio-Giovanni Rupp, Bianca Spiegel, Norman Stehr, Stephanie Theiß, Barbara Ullmann

 ... Norman Stehr, hier der getarnte Führer ...

... Norman Stehr, hier der getarnte Führer ...

Foto: TV/Verona Kerl
 ... Paul Hess, das Double des Führers, ...

... Paul Hess, das Double des Führers, ...

Foto: TV/Verona Kerl
 „Auf dem Vulkan“ mit Stephanie Theiß, ...

„Auf dem Vulkan“ mit Stephanie Theiß, ...

Foto: TV/Verona Kerl
 ... und Gideon Rapp.

... und Gideon Rapp.

Foto: TV/Verona Kerl
 Dimetrio-Giovanni Rupp und Barbara Ullmann, im Hintergrund Bassist Dirk Klinkhammer.

Dimetrio-Giovanni Rupp und Barbara Ullmann, im Hintergrund Bassist Dirk Klinkhammer.

Foto: TV/Verona Kerl
 Der fiese Nazi Bernd Lechler (Michael Hiller) gibt sich für einen Tanz die Blöße – eine Glanznummer des Abends.

Der fiese Nazi Bernd Lechler (Michael Hiller) gibt sich für einen Tanz die Blöße – eine Glanznummer des Abends.

Foto: TV/Verona Kerl
 Verkündet die Wahlergebnisse der Weimarer Republik aus dem Arkadengang des Simeonstifts: Bianca Spiegel.

Verkündet die Wahlergebnisse der Weimarer Republik aus dem Arkadengang des Simeonstifts: Bianca Spiegel.

Foto: TV/Verona Kerl

Die Band: Horst Maria Merz, David Eckes, Dirk Klinkhammer,  Marco Rollmann, Alfred Shtuni und Carlos Wagner.

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