Mit elementarer Wucht

SAARBRÜCKEN. Mit der avantgardistischen Oper "Intolleranza" von Luigi Nono hat das Staatstheater Saarbrücken die Musiktheater-Saison eröffnet. Im Mittelpunkt des Interesses stand dabei die Ausstattung von Star-Architekt Daniel Libeskind.

"Wenn es zu schlimm wird, können wir ja zur Pause rausgehen", sagte ein Skeptiker vor der Tür des Staatstheaters zu seiner Frau, "aber das Bühnenbild von dem Libeskind will ich unbedingt sehen". Der gute Mann unterlag gleich mehreren Irrtümern. Es wurde nicht schlimm, sondern beeindruckend, das Bühnenbild war für den Erfolg des Abends nicht annähernd so wichtig wie die Leistung von Sängern und Musikern, und - ach ja - es gab keine Pause.Menschliche Dimensionen statt Agitprop

Luigi Nonos "Szenische Aktion" genanntes Stück "Intolleranza" gilt als einer der wenigen geglückten Versuche, serielle Musik mit Elementen des Musiktheaters zu verbinden. 1961 uraufgeführt, trieft es freilich für heutige Verhältnisse von politischem Pathos. "In keiner Epoche war der Wille, frei zu sein, bewusster und stärker", zitiert Nono Jean Paul Sartre. "No pasaran" und "Nie wieder", tönt es von der Bühne. Das wirkt recht anachronistisch in Zeiten, da auch die letzten revolutionären Volksbewegungen - von Kuba mal abgesehen - sich danach drängen, auf dem weltweiten kapitalistischen Eilzug ein Plätzchen im hintersten Abteil des letzten Wagens der 2. Klasse zu finden. Der kluge Regisseur Christian Pöppelreiter wittert die Nostalgie-Falle und filtert heraus, was Nonos Werk an zeitlosen Erkenntnissen enthält. Und das ist nicht wenig. Sein Protagonist, der nur "Der Flüchtling" heißt, stolpert als naiver, fast parsifalesker Tor durch die anonymen Bedrohungen einer Welt, die nichts übrig hat für Außenseiter. Ein Bergwerksunglück entwurzelt ihn, er will in seine Heimat zurückwandern, gerät eher versehentlich in die Rolle eines Systemkritikers. Er wird inhaftiert, gefoltert, wandert weiter, findet eine Lebensgefährtin, die mit ihm gemeinsam bei einer Flutkatastrophe ums Leben kommt. Was bei Nono konkret, politisch und klassenkämpferisch ist, erhält bei Pöppelreiter fast eine religiöse Überhöhung. Keine Nazis kommen vor, keine Amerikaner, keine Zeitungsschlagzeilen - nur das Ausgeliefert-Sein an andere Menschen wird gezeigt. Das Bühnenbild von Libeskind bleibt nicht minder im Ungefähren. Ein Bodenrelief spiegelt sich an einer schräg aufgestellten, mächtigen Platte, die aussieht wie der Deckel einer überdimensionalen Gruft. Das Spiegelbild, flankiert von Kreuzen, wirkt wie eine der irritierenden Escher-Zeichnungen, bei denen die räumlichen Dimensionen durcheinander geraten sind. Eine zweite Platte dräut aus der Höhe; die Szenerie verbreitet ein diffuses Unbehagen. Der bewusst vage gehaltene Rahmen wird ausgefüllt durch eine außerordentlich fein gearbeitete Personenregie. Regisseur Pöppelreiter und der großartige Sänger Stefan Vinke machen den Flüchtling zu einer Identifikationsfigur mit fast beängstigender Präsenz. Ein Bär von einem Mann, stark, mutig, und doch ohne Chance - denn die Verhältnisse, die sind nicht so, dass einer wie er friedlich überleben könnte.Orchester bietet Höchstleistung

Die ganze elementare Wucht der Handlung wird von Chor und Orchester getragen. Die Regie erspart dem Chor große szenische Einsätze und ermöglicht damit eine präzise, die Handlung mal tragende, mal kommentierende, stellenweise atemberaubende Gestaltung. Was die gut 60 Sänger von Chor und Extrachor (Einstudierung: Andrew Ollivant) leisten, braucht sich hinter den ganz großen Häusern in keiner Weise zu verstecken. Gleiches gilt für das von 16 Schlagzeugern dominierte Orchester, das der junge Dirigent Constantin Trinks zu einer Höchstleistung führt. Nonos vertrackte Musik kommt effektvoll, hoch spannend und hervorragend ausgewogen zwischen Solisten, Chor und Instrumentalisten über die Rampe. Die herzlichen Umarmungen des Regisseurs für seinen musikalischen Leiter waren allemal verdient. Ebenso wie der lang anhaltende Schlussbeifall, der auch die guten Interpreten der Nebenrollen (vorrangig zu nennen: Donna Ellen und Manou Walesch) einschloss. Weitere Vorstellungen: 4., 6., 13., 27. Oktober, Karten: 0681/32204.

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