Tanztheater Kräftefelder und raschelndes Laub

Trier · Mit zwei Choreographien verabschieden sich Linke und Co. vom Trierer Publikum.

 „Clip“, die Abschieds-Choreographie von Urs Dietrich in Trier.

„Clip“, die Abschieds-Choreographie von Urs Dietrich in Trier.

Foto: TV/Oliver Look

Frei nach dem Dichterwort: Das war ein Abend, wie man keinen sah. Mit zwei hinreißenden Choreographien verabschiedet sich das Tanztheater unter der Leitung von Susanne Linke am Theater Trier. Im bis auf den letzten Platz besetzten großen Ateliersaal der Europäischen Kunstakademie wurden am Samstag Felix Bürkles „High Performance“  und Urs Dietrichs „Clip“ uraufgeführt. Lang anhaltender Applaus und Bravo-Rufe des begeisterten Publikums belohnten die eindrucksvolle  Doppel-Aufführung. In ganz unterschiedlichen künstlerischen Sprachen präsentierten die beiden Choreografen zwei gleichermaßen intelligente wie feinsinnige Choreographien, die das hochengagierte Ensemble ausdrucksstark und lustvoll präsentierte.

Die vier weißen Säulen des Raums markieren das Geviert, in dem Felix Bürkles „High Performance“ verortet ist. An langen Schnüren hängen rote Pendel von der Decke. Gemeinsam mit den Tänzern in grauen Mänteln (Kostüme Carola Vollath) und der Musik bilden sie ein energetisches Kraftfeld, dessen Bewegungen sich bedingen und das zuzeiten von Störungen erschüttert wird. Langsam beginnen sich die Körper zu bewegen. Ein paar Schritte, ein Anheben des Fußes, ein Einknicken: Bewegungen, die sich zunächst in der Musik zu entladen scheinen. Dann verkehren sich die Verhältnisse. Die Musik wird zum Impulsgeber, der die Bewegung bis in die kleinsten Zuckungen steuert. Bisweilen liegt sie als Dauerton wie eine Folie über dem Raum. Dann  werden die Pendel in Bewegung gesetzt. In einem anmutigen Spiel fassen sie Raum, zeichnen Linien,  Kreise und Raumkörper. Ein dichtes interaktives Gewirk entsteht aus dem feinnervigen Zusammenspiel der Akteure. Bürkles synergetisches Feld ist ein Kraftfeld der Innen-wie Außenschau. Wunderbar: Luiza Braz Batistas Solo, in dem die Bewegung zum Seismographen der musikalischen Vibrationen wie der Seelenschwingungen wird.

Wo sich Felix Bürkle fast minimalistisch auf Zeichen beschränkt, malt Urs Dietrich in seiner Choreographie „Clip“ wunderbar poetische Bilder. Ein Berg getrocknetes Laub bedeckt den Boden. Wie im Unterstand sitzen darunter an der Wand drei Gestalten. Vielleicht Hasen, wie die Ohren der Fellmützen signalisieren, vielleicht Menschen. Kein Geräusch ist zu hören. Die Tänzer bewegen sich, horchen, nehmen gleichsam Witterung auf. Von fern hört man eine verlorene Stimme. Urs Dietrich ist ein Meister der belebten Stille. Ihre Stimmen macht er hörbar, ihrem Geheimnis ist er auf der Spur, ohne es jemals ganz zu entmystifizieren. So auch hier. Vom Rascheln des Laubes orchestriert, entwickelt  der Choreograph eine Reihe Episoden von ungeheurer Eindringlichkeit. Seine Clips sind kleine Charakterstücke von der Natur um uns her. Sie bedeutet gleichermaßen Schönheit wie Schrecken und ist wie für die Dichter und Maler der Romantik ein Spiegel der eigenen Seele.

Urs Dietrichs Bildsprache ist von jener Schönheit, die aus der gelungenen Zusammenführung der Widersprüche rührt, aus der Dynamik von Spannung und Entspannung, sowie aus einem wunderbaren Gefühl für die Sprache des Körpers. Eine enorme Präzision zeichnet seine ausdrucksstarken geschmeidigen Tänzer aus, bei denen selbst Mimik Gestik ist, allen voran Sergey Zhukov. Nichts ist sicher in diesem Naturraum raschelnder Blätter, die sich langsam über den ganzen Boden verstreuen. Alles lässt gleichermaßen fürchten wie hoffen. Am Ende erklingt erneut die Stimme vom Anfang, noch immer verloren. Aber diesmal sind die drei Tänzer eng zusammengerückt und bieten einander Schutz. Mit „Clip“ ist dem Choreographen einmal mehr eine große tief berührende  Arbeit gelungen, die den Poeten Dietrich, den Spurensucher im Innern der Welt und der menschlichen Seele zum Anwalt zwischenmenschlicher Wärme und Empathie macht, als Schutz vor Gefahr und Kälte.

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