Mitten im Herz der Kammermusik

Trier · Es war ein furioser Start in die neue Konzertsaison. Das 1. Kammerkonzert im Kurfürstlichen Palais glänzte mit orchestraler Fülle und spieltechnischer Brillanz. Freilich gingen beim Streichquartett von Ravel und Mendelssohns Oktett einige Zwischentöne verloren.

Trier. Beinahe war es ein akustischer Überfall. Nach einem spätromantisch satten Präludium entfaltete das Scherzo Opus 11 von Dimitri Schostakowitsch eine Atem beraubende Energie. Da hatten sich mit dem Mandelring- und dem Minetti-Quartett zwei Ensembles zusammengetan zu einem Oktett, das im Trierer Kurfürstlichen Palais orchestrale Klang-Erlebnisse bescherte.
Im Schostakowitsch-Scherzo blieb kein Rest mehr an Schönklang und ästhetischer Betulichkeit. Der Satz wird bei den Mandelrings/Minettis zu einem Stück schreiender Expressivität. Da klingt schon das Angstvolle, Schrille des späteren Schostakowitsch mit.
Sinfonische Dimensionen


Auch beim Oktett des gerade mal 16-jährigen Mendelssohn erreicht der Klang vor knapp 200 Besuchern sinfonische Dimensionen - eine Fülle sondergleichen. Freilich wurden bei Mendelssohn auch Interpretations-Defizite offenbar. Allzu einseitig setzte man auf einen wirkungsstarken Vollklang und vernachlässigte die Feinheiten dieser Musik. Strukturen wurden nicht immer deutlich. Und der Andante-Mittelsatz blieb erstaunlich steif und fest. Auch bei Ravels F-Dur-Quartett vor der Pause taten sich Probleme auf. Gewiss: Das Mandelring-Quartett spielte seine Routine aus, brillierte in den wechselnd hervortretenden Hauptstimmen, entfaltete in den Pizzikato-Partien des zweiten Satzes eine Drastik, die an Bartok erinnert, und vollzog auch den sachten, aber weit ausgreifenden Klanggestus dieser Musik nach - eine Reverenz an den mediterranen Stil von Gabriel Fauré, den Lehrer Ravels und Widmungsträger des Quartetts. Aber es fehlte doch etwas von dem echt Französischen in diesem Quartett - dem Ausschwingenden, Rhetorischen, ausdrucksvoll Nuancierten. Eine Interpretation, mehr Ölgemälde als Aquarell.
Zuhörer überwiegend Senioren


Keine Frage: Das Minetti-Quartett bringt die Erfahrung der Mandelrings noch nicht auf. Umso treffender, umso vielschichtiger deren Haydn-Interpretation. Da vermittelten sie von Anfang an die unkonventionellen Feinheiten im Quartett op. 20,5. Sie fanden rasch zu dem Verhangenen in der Tonsprache aus Haydns Sturm-und-Drang-Periode. Sie scheuten im Menuett nicht den romantischen Tonfall. Und dem heiklen Fugen-Finale gaben sie eine erstaunliche Transparenz mit. Wie manche seiner Zeitgenossen greift Haydn bewusst, fast polemisch in die Vergangenheit zurück - der Kontrapunkt als Korrektiv platter Galanterie. Musik sollte mehr sein als nur gedankenloser Klingklang.
Dieses Konzert führte geradewegs ins Herz der Kammermusik. Im Publikum freilich blieb die Altersgruppe 60 plus beinahe unter sich. Das ist keineswegs nur ein Problem der Veranstalter. Es ist mehr: Indiz für ein gesellschaftliches Defizit. Was hat die Kammermusik noch zu sagen in einer Welt der optischen und akustischen Überflutung?

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