Moderner Jedermann

TRIER. Das Theater Trier zeigt am Sonntag, 11. März, im Studio die Premiere des Schauspiels "Hörst du mein heimliches Rufen" von Thomas Jonigk. Es ist eine der drei Produktionen, die vom Stadttheater trotz Absage des ursprünglich für Februar geplanten Theaterfestivals realisiert werden. Regie führt der designierte Festivalleiter Ali Abdullah, Spezialist für die eigenwillige Umsetzung experimentellen Materials.

 Franziska Küpferle (von links), Alexander Ourth, Hille Beseler und Peter Singer proben "Hörst du mein heimliches Rufen" von Thomas Jonigk. TV-Foto: Anke Emmerling

Franziska Küpferle (von links), Alexander Ourth, Hille Beseler und Peter Singer proben "Hörst du mein heimliches Rufen" von Thomas Jonigk. TV-Foto: Anke Emmerling

So groß das Bedauern über die Stornierung des Theaterfestivals im Stadttheater auch ist, so groß ist die Freude, dass immerhin drei Projekte gerettet werden konnten: "Unter Eis" von Falk Richter, eine Koproduktion mit dem Luxemburger Théâtre des Capucins, ein für die nächste Spielzeit geplantes, mit Trierer Schülern entwickeltes Auftragswerk von Lothar Kittstein und "Hörst du mein heimliches Rufen" von Thomas Jonigk, das am Sonntag Premiere hat. "Es ist eines der Herzstücke", sagt Dramaturg Peter Oppermann. Das Stück sei wegen seines besonderen Bezugs zum Thema dieser Spielzeit - Visionen - aufgenommen worden."Brutale Abrechnung mit unserer Zeit"

Es geht um einen in der Rüstungsindustrie erfolgreichen Mann, der plötzlich entlassen wird. Er will sich umbringen, begegnet einem Engel und gerät in einen Schwebezustand zwischen Wahn und Wirklichkeit. Sein Leben zieht in Bildern an ihm vorbei und zwingt ihn, gegenüber sich selbst und anderen Rechenschaft abzulegen. "Ein moderner Jedermann", sagt der Dramaturg, "der merkt, dass er Ideale verloren und sich sein Leben sinnentleert entwickelt hat". Verlorene humanistische Ideale, verlorene Visionen, sinnentleerte Gesellschaft - das seien die Themen, die Thomas Jonigk generell schonungslos und mit drastischer Sprache aufbereite, sagt Peter Oppermann. Überaus erfolgreich - der 1966 geborene Autor wurde 1995 zum Nachwuchsdramatiker des Jahres gekürt und mehrfach für seine international aufgeführten Stücke ausgezeichnet. Seit 2006 arbeitet er als Autor und Dramaturg am Düsseldorfer Schauspielhaus, von dessen Nachbarschaft zu Thyssen/Krupp "Hörst du mein heimliches Rufen" inspiriert ist. Für die Trierer Umsetzung der "brutalen Abrechnung mit unserer Zeit" sei Ali Abdullah Wunschkandidat gewesen, sagt Oppermann. Aus der freien Szene kommend, habe er sowohl im eigenen Theater in Wien als auch bei seiner letzten Inszenierung von "Biedermann und die Brandstifter" in Aachen einen eigenwilligen Stil bewiesen. "Ich nehme Werke erst einmal als Material und versuche, sie an die Gegebenheiten des Ortes anzupassen", bestätigt Abdullah. Er halte sich nicht sklavisch an Vorgaben, sondern lasse Raum für Improvisation. "Ich versuche, mit den Schauspielern rauszukriegen, was uns betrifft und interessiert, jeder von ihnen kann selbst das für ihn Wesentliche seiner Rolle zeigen." Nichts werde endgültig gemacht, auch die Premiere sei nur ein Stadium, kein Endprodukt. "Bloßes Erzählen interessiert mich nicht." Deshalb versuche er Situationen herzustellen, die der Betrachter wiedererkenne, möglichst in verstörenden, emotional beunruhigenden Bildern. Antworten gebe er nicht, auch distanziere er sich von den moralischen Bewertungen, in die der Autor abgleite. Froh sei er, dass er in Trier auf Potenzial treffe, sagt Abdullah, will heißen, Schauspieler, die sich engagiert auf einen herausfordernden Prozess einlassen. Es sind Peter Singer, Hille Beseler, Alexander Ourth und Franziska Küpferle, ein neues Gesicht in Trier. Sprachlich und darstellerisch wird ihnen viel abverlangt, und sie wissen, dass sich noch alles verändern kann. Weitere Termine im März: Mittwoch, 28., und Samstag 31., jeweils um 20 Uhr.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort