Das Motto des Festivals 2023 lautet „ganz neue Welten tun sich mir auf“. Welche Welten tun sich Ihnen gerade auf?
Interview Tobias Scharfenberger Wie sich die Konzertwelt ändert
Trier · Das Mosel Musikfestival macht sich fit für die Zukunft. Dafür hat es jetzt einen luxemburgischen Ableger gegründet.
Das Mosel Musikfestival sieht sich an einer entscheidenden Wegmarke. Wenn im Sommer die Bundesförderprogramme „Neustart Kultur“ und Bundeskulturfond auslaufen, will das seit 1985 bestehende internationale Musikfestival die Weichen für das künftige Profil neu stellen. Im TV-Gespräch sagt Intendant Tobias Scharfenberger, warum das Festival 2022 erfolgreicher war als vor der Pandemie, was ihn gerade zur Gründung eines Partnerunternehmens in Luxemburg veranlasst hat und welche Trends er beim Publikum ausmacht.
TOBIAS SCHARFENBERGER Viele. Wir haben zunächst mal einen neuen Partner mit an Bord. Das Pflänzchen, das mit der moselmusikfestival asbl gesät worden ist, ist mit fünf Veranstaltungen im Programm eingebunden. Das ist ein ganz wichtiger Schritt auch für die Zukunft unseres Festivals. Das heißt nicht, dass wir jetzt alles nach Luxemburg verlagern. Wir sehen darin eine Chance, das Festival grenzüberschreitend weiterzuentwickeln. Das eröffnet auch die Möglichkeit, an europäische Fördermittel zu kommen. Es geht ja bei so einem Schritt immer auch darum, das Festival wirtschaftlich langfristig zu sichern. Inhaltlich tun sich neue Welten auf insofern, als wir im Programm sieben Konzertprojekte unter der Überschrift „Neue Welten“ haben.
Sie haben also in Luxemburg eine neue Firma gegründet. Wie hängen die beiden Seiten des Festivals zusammen?
SCHARFENBERGER Das Eine ist die Mosel Musikfestival GmbH, mit sechs Gesellschaftern (Kommunen und Landkreise der Mosel-Region), das andere ist die Mosel Musikfestival asbl, ein gemeinnütziger Verein, der von deutschen und luxemburgischen Privatpersonen gegründet worden ist. Dieser veranstaltet Konzerte entlang der luxemburgischen Mosel.
Wie viele Privatpersonen sind das?
SCHARFENBERGER Neun Personen haben die asbl gegründet. Präsident ist Marc Weyer, der auch Präsident der Lokalen Aktionsgruppe LEADER Miselerland und des Luxemburger Winzerverbandes ist. Vize-Präsident ist Stefan Metzdorf. Vom Mosel Musikfestival sind die kaufmännische Leitung, Lilian Erbel, und ich als künstlerischer Leiter eingebunden. Es ist wichtig zu betonen, dass die luxemburgische asbl durch Privatpersonen gegründet wurde. Es werden keine Konzerte mit dem Geld der deutschen Gesellschaft in Luxemburg veranstaltet.
Wie trennen Sie denn Ihre Arbeit? Führen Sie Stundenzettel?
SCHARFENBERGER Ja, das muss tatsächlich so gemacht werden. Das muss sehr sauber getrennt werden und geschieht über eine vollkommen transparente Leistungsverrechnung.
Ist denn der Verein allgemein zugänglich für Mitglieder?
SCHARFENBERGER Ja, bisher gab es nur die Gründungsversammlung. In Zukunft wird dieser Verein natürlich Mitglieder anwerben. Künstlerische und Kaufmännische Geschäftsführung der deutschen Gesellschaft sind „geborene Mitglieder“ des Vorstands der asbl, damit die Zusammenarbeit auch nach einem möglichen Ausscheiden der jetzigen Verantwortlichen in einer programmatisch-inhaltlichen Linie gewahrt bleibt. Die Marke Mosel Musikfestival bleibt erhalten, ist umfassend geschützt und hat eine Federführung. Der luxemburgische Teil kann sich nicht abspalten.
Sie sagen, ein Ziel sei es, an europäische Fördermittel zu kommen. Wie können die denn dann auch dem deutschen Festival zugutekommen?
SCHARFENBERGER Sie brauchen häufig, wenn es an europäische Fördertöpfe geht, bei der Kultur zwei Länder, mehrere Projektpartner. Das ist zwar noch Zukunftsmusik, aber besondere gemeinsame Konzertprojekte zu ermöglichen, wäre ein Ziel.
Wie positionieren Sie sich in Luxemburg neben den anderen großen Anbietern wie Philharmonie oder Trifolion Echternach?
SCHARFENBERGER. Wir wollen kein Konkurrenzunternehmen gründen. Die Initiative ging ursprünglich von LEADER Miserland aus, die auf uns zukam. Man meinte, es fehle an der luxemburgischen Mosel an einem kulturtouristischen Angebot, wie wir es machen. Die Philharmonie macht im Sommer Pause, im Trifolion ist das ähnlich. Deshalb werden wir unseren Fokus sehr auf die Sommermonate legen. Ganz anders als die großformatigen Konzerte in Trifolion und Philharmonie wollen wir Veranstaltungen passend zu den Räumlichkeiten anbieten: an besondere Orte entlang der Mosel gehen, Kirchenkonzerte veranstalten, an die Weingüter herantreten.
Haben Sie die Ressourcen für die zusätzlichen Aufgaben?
SCHARFENBERGER Der Plan ist, dass wir über den Verein langfristig noch eine Personalstelle schaffen. In der Anfangsphase kommt die Manpower erst einmal von uns.
Sie haben angekündigt, auch ein Festival zu gründen, das sich speziell an junge Leute richtet. Wie weit ist das?
SCHARFENBERGER Zum einen ist es in der Satzung der asbl eingeschrieben, dass wir die Zusammenarbeit junger Künstlerinnen und Künstler aus beiden Ländern fördern und miteinander verbinden wollen. Das geschieht bereits dieses Jahr in zwei Projekten. Zum anderen haben wir über die Nikolaus-Koch-Stiftung eine große Förderung erhalten, mit der wir über eine zusätzliche Stelle Angebote und die Vernetzung für jüngere und neue Zielgruppen schaffen wollen – um neudeutsch „audience developement“ zu betreiben. (Bezeichnung für die Gewinnung und Bindung neuen Publikums für kulturelle Veranstaltungen und Institutionen, Anm. d. Redaktion). Es geht um den Aufbau von neuen Zielgruppen. Es wird immer wichtiger, dass es da eine sehr direkte Ansprache gibt.
Sie suchen also junge Leute als Publikum und fördern junge Leute als Künstler.
SCHARFENBERGER Ja. Wir wollen aber auch gezielt Angebote an bestimmte Zielgruppen bringen. Kinder, 16- bis 26-Jährige ebenso wie 30+, 40+. Solche Zielgruppenakquise wird in Zukunft eine große Rolle für viele Kulturinstitutionen spielen. Ich glaube, der Weg zum Publikum muss in Zukunft ein sehr anderer werden. Das Kauf- und Nutzungsverhalten, die Wahrnehmungsspannen des Publikums und die Informationskanäle ändern sich sehr.
Zwei junge Mitarbeiter bei Ihnen haben einen Nachhaltigkeitsguide für Kulturveranstaltungen entwickelt. Was sind wichtigsten Punkte?
SCHARFENBERGER Unsere beiden FSJler, Sarah und Max, die im vergangenen Sommer zu uns gekommen sind, merkten zum Beispiel, dass bei manchen Konzerten zu viele Programme gedruckt wurden. Die Energie- und Rohstoffkosten sind sehr gestiegen. Tatsächlich sind Drucksorten ein großes Thema bei uns. Wie umfangreich muss unser Katalog sein, wie dick, wie schwer das Papier? Wie viel Information braucht man eigentlich noch gedruckt und welche Information für welche Zielgruppe? Reicht vielleicht manchmal, ein QR-Code, mit dem Leute sich Information aufs Smartphone holt? Weiter überlegen wir: wo können wir Strom sparen, Abfall reduzieren, Fahrtwege verkürzen?
Erwägen Sie, den Katalog nicht mehr drucken zu lassen und ganz aufs Digitale umzustellen?
SCHARFENBERGER Nein, der Saison-Katalog ist ein sehr wichtiges Medium, den das Publikum auch sehr mag. Deshalb wird es ihn sicherlich immer geben. Dass er sich weiterentwickeln muss und verändern kann und auch eine hybride Form entsteht von Katalog und zusätzlicher Information im Netz, das ist wahrscheinlich..
Wie steht das Festival wirtschaftlich da? Bei den Besucherzahlen hatten Sie ja fast wieder das Niveau von vor Corona erreicht.
SCHARFENBERGER Wir hatten am Ende mit den beiden Weihnachtskonzerten sogar mehr Besucher als in 2019. Das hat uns sehr gefreut. Wir stehen derzeit wirtschaftlich sehr gut da. Wir konnten sehr von den Förderprogrammen „Neustart Kultur“ und aus dem Bundeskulturfond profitieren, die jetzt zum Sommer auslaufen. Die schwierigen Jahre werden die Saisons 2023 und 2024 sein. Wir haben enorme Preissteigerungen von bis 30 Prozent vor allem bei den Veranstaltungsnebenkosten und externen Dienstleistungen. Man muss immer wieder von Neuem überlegen, wo wir weitere Mittel generieren können, denn zwei Drittel unseres Etats – nach wie vor bei 1,1 Millionen Euro – erwirtschaften wir selber.
Sie betonen immer wieder, dass das Kulturunternehmen längerfristig öffentliche Unterstützung braucht. Was haben Sie da schon erreicht?
SCHARFENBERGER Meine Kollegin Lilian Erbel hat im vergangenen Jahr für unsere Träger in einer Modellrechnung aufgezeigt, wohin sich die Kosten des Festivals in den kommenden fünf Jahren bei gleichbleibendem Angebot entwickeln werden. Wir alle wissen, dass es für manche Gesellschafter aufgrund von Haushaltslagen und den immensen anderen Verpflichtungen schwierig ist, sich stärker zu engagieren. Es ist aber von allen Gesellschaftern verstanden worden, dass man dauerhaft ohne stärkeres finanzielles Engagement auf dem Level die Qualität und die Menge der Veranstaltungen nicht wird halten können. Das ist das Signal, das wir gegeben haben, und ich denke, das ist auch verstanden worden.
Geht das auch in Richtung Land Rheinland-Pfalz?
SCHARFENBERGER Das Land ist bei uns durch die alljährliche Förderung im Rahmen des Kultursommers sehr stark engagiert. Das moselmusikfestival ist eines der größten geförderten Projekte im Land. Aber natürlich haben wir die oben beschriebene Problematik auch dort adressiert. Ist auf beiden Seiten kein stärkeres Engagement möglich, muss man überlegen, wie man ein Festival umbaut. Das könnte also bedeuten, dass man es verkürzt, weniger Veranstaltungen macht oder es komprimierter an einem Ort anbietet. Damit geht man aber an die DNA des Festivals, denn der geniale Gründungsgedanke besteht darin, unsere einmalige Kulturlandschaft zu bespielen. Und wir sind fest davon überzeugt, dass das unerschöpfliches Potenzial hat. Deshalb sind wir sehr bestrebt, für das Festival weitere Drittmittel zu bekommen. Auch vor diesem Hintergrund ist dieser Schritt nach Luxemburg so interessant.
Sie haben die Präsentation des Programms 2023 auf März verschoben und den klassischen Termin Anfang Dezember gecancelt. Wie lief das Weihnachtsgeschäft?
SCHARFENBERGER Den Termin Anfang Dezember wird es nächstes Jahr wieder geben. Das Weihnachtsgeschäft lief natürlich reduzierter, als wenn wir das volle Programm vorgestellt hätten. Aber nicht wenige Menschen fanden unsere Carte blanche (Konzerttickets mit Überraschungsprogramm) eine originelle Idee, und sie ist auch angenommen worden. Besonders das Konzert auf dem Weingut, die Eröffnung und das Abschlusskonzert waren stark nachgefragt.
Wenn teilweise Technik um 20 Prozent teurer wird, wie fangen Sie diese Kosten auf? Über mehr Fördergelder? Oder über die Erhöhung der Eintrittspreise?
SCHARFENBERGER Wir haben punktuell bei Konzerten ein wenig den Eintrittspreis erhöht bzw. die Preisstruktur verändert. Andererseits gibt es eine Reihe von Konzerten bei freiem Eintritt. Und wir haben uns auch beschränkt bei den Konzerten. Auf meiner Liste waren gerade zum Thema „Neue Welten“ noch ein paar sehr schöne und hochwertige Projektideen, von denen wir uns bei den Verhandlungen um den Wirtschaftsplan schweren Herzens trennen mussten.
Gibt es denn weniger Veranstaltungen insgesamt?
SCHARFENBERGER Wir haben 55 Veranstaltungen, 50 in Deutschland und fünf in Luxemburg. 2022 waren es 57 Veranstaltungen.
Sie versprechen mit dem Programm, das Sie am 3. März vorstellen wollen, dass sich Neue Welten auftun. Welche sind dies?
SCHARFENBERGER Das sind insgesamt sieben Konzertprojekte: darunter ein Kammermusik-Wochenende in einer sehr schönen neuen Spielstätte, wo wir den Fokus legen auf Instrumente, die man sonst nicht so als Solo-Instrumente der Kammermusik kennt; wir widmen uns ferner genialen Komponistinnen und Literatinnen und bringen verschiedene Kunstformen zusammen: Live-Malerei, Musik und Literatur. Am letzten Wochenende geht es mit einem sehr renommierten deutschen Pianisten um das Schaffen von Ludwig van Beethoven.
Gibt es besondere Locations, die Sie schon verraten können? So wie 2022 das Bahnausbesserungswerk in Trier-West?
SCHARFENBERGER Das Bahnausbesserungswerk hätten wir sehr gerne nochmal bespielt, doch das klappt leider nicht. Wir werden mit drei hochkarätigen Open-Airs im Innenhof des Kurfürstlichen Palais` sein. Als neue Spielorte haben wir unter anderem die Orangerie in Schloss Bekond und drei neue Weingüter im Programm sowie fünf Spielstätten in Luxemburg.
Die Musik steht ja im Titel Ihres Festivals. Neu ist, dass Sie das Spektrum in Richtung Literatur und Kunst erweitern.
SCHARFENBERGER Die Erfahrung aus dem letzten Sommer zeigt, wie sich unsere Musikwelt verändert. Die Aufmerksamkeitsspanne verändert sich. Wir merken, es ist zunehmend schwerer, lange Konzerte zu machen. Und die Leute haben auch Spaß daran, ein Musikstück zu verstehen über den Umweg der Literatur oder auch umgekehrt. Oder über einen Raum.
Also ist Konzert viel mehr Event als jemals zuvor?
SCHARFENBERGER Das Wort Event hat ja im deutschen Sprachraum einen negativen, kommerziellen Touch. Die Konzerte sollen hochwertig sein. Wir beobachten, dass Leute bereit sind, Geld dafür auszugeben, wenn die Veranstaltungen tatsächlich diesen besonderen Charakter haben, dieses Etwas-Mehr. Ich würde also eher vom Konzert als Inszenierung sprechen als vom Event. Es gibt von Folkert Uhde den schönen Begriff Konzertdesign – Konzert fängt nicht erst an, wenn das Licht ausgeht und der Künstler die Bühne betriff, sondern es gehört sehr viel mehr „drumherum“, und das ist die Zukunft, die neue Welt.
Wie viele Besucher wollen Sie 2023 erreichen? Und wann war das Jahr ein Erfolg?
SCHARFENBERGER Das Festival ist wieder so angelegt, dass wir im fünfstelligen Bereich landen können, das möchten wir erreichen. Wir hatten im vergangenen Jahr mit den Weihnachtskonzerten eine Auslastung von fast 90 Prozent. Es wäre toll, wenn wir so was wieder schafften. Das war nach den zwei schwierigen Jahren ein riesiger Erfolg, gerade auch im Vergleich mit anderen Festivals, und wir hatten einen extrem guten und schönen Sommer. Zwischen 85 und 90 Prozent – es wäre unser Wunsch. Und wenn diese Menschen beseelt und bereichert die Konzerte verlassen, dann haben wir das Ziel erreicht.