Mosel Musikfestival Mosel Musikfestival startet mit Matthäuspassion in Trier

Trier · Mit der von Mendelssohn Bartholdy überarbeiteten Matthäuspassion startet in Trier das Mosel Musikfestival in der Region.

 Los geht’s: Tobias Scharfenberger, neuer Intendant des Mosel-Musikfestivals, das Publikum.

Los geht’s: Tobias Scharfenberger, neuer Intendant des Mosel-Musikfestivals, das Publikum.

Foto: Martin Möller

Hat da etwas gefehlt? Hat während der ganzen Aufführung in Trier-St. Maximin überhaupt eine nennenswerte Zahl von Besuchern hörend nachvollzogen, dass es sich um eine gekürzte und modifizierte Fassung von Bachs großer Matthäuspassion handelte?

Wahrscheinlich nicht, und dafür gibt es gute Gründe. Felix Mendelssohn Bartholdy, der 1829 in der Berliner Singakademie das Werk erstmals nach Bach wieder komplett in die Öffentlichkeit brachte, hatte sich die Partitur nochmals vorgenommen, etliche Striche rückgängig gemacht, den Generalbass mit zwei Celli und Kontrabass besetzt und nicht mit einem Tasteninstrument. Und er hat 1841, auf dem Höhepunkt seiner kompositorischen Kunst, sein geniales Formgefühl eingebracht. So überzeugend, dass selbst Besetzungen, die eher Behelf waren – wie die Klarinetten und Bassetthörner statt der tiefen Oboen – ein künstlerisches Eigenleben entfalten. Und wenn diese Matthäuspassion dann in die Hände sensibler, musikhistorisch gut geschulter Interpreten gerät, dann wird die Aufführung authentischer als manche angeblich barock-historische Version.

So war es in diesem Konzert zur Eröffnung des Mosel-Musikfestivals unter Ralf Otto mit dem Mainzer Bachchor, der deutschen Radiophilharmonie und einem vorzüglichen Solistenensemble. Schon der Eröffnungschor klingt wie ein musikalisches Programm. Der groß besetzte Chor, das vergleichsweise langsame Tempo, dazu aber auch die Zurückhaltung im Streicher-Vibrato: Da hat der musikalische Leiter präzise die Balance austariert zwischen barocker Rhetorik und romantischer Gefühlskraft. Würde strahlt der Satz aus und zugleich eine Trauer, die diese Passion in ganz unterschiedlicher Gestalt durchzieht. Und schon in den ersten Solosätzen klingt immer wieder die Epoche der „Empfindsamkeit“ an, die aus dem 18. Jahrhundert in Mendelssohn Zeit hineinreichte – „Buß und Reu“ nicht als Selbst-Kasteiung, sondern als zärtliche Annäherung. Diese ausgeprägte, nachgerade romantische Subjektivität prägte die gesamte Aufführung. Und gerade in Mendelssohns gekürzter und vorsichtig modifizierter Version entfaltet das Werk eine Geschlossenheit und eine religiöse Tiefe, die den Hörer hineinnehmen können in das theologische Geheimnis um Jesus Christus.  Freilich: Es klingt zuweilen, als hätten die heikle Stil-Balance und zudem die ausgeprägte Subjektivität in Ottos Dirigat auch etliche Unschärfen bei Tempogebung und Zusammenspiel zur Folge. Als sei der Interpretations-Fokus so auf die eigenständige, stilistisch schlüssige Ausformulierung der Musik gerichtet, dass man technische Details beiseiteließ.

Und doch: Die Kraft der Interpretation übertönte auch solche Defizite. Ganz obenan der Mainzer Bach-Chor – groß und stark im Klang bei den Rahmensätzen, von geradezu explosiver Energie in den Volkschören, den „Turbae“.

Und den Choral „Wenn ich einmal soll scheiden“, in dem Mendelssohn die Instrumente schweigen lässt und im Chorsatz eine minimale, aber bedeutsame Änderung an Bachs Partitur vornimmt – diesen Choral singen sie so wunderbar homogen, so beklemmend in sich gekehrt, dass beim Zuhören einen Moment lang der Atem verhält.

Die Deutsche Radiophilharmonie, auch sie nimmt Ralf Ottos Vorstellungen sensibel auf, gibt dem Gesamtklang Rundung und Fülle mit, verzichtet dabei auf sinfonischen Pomp, hält sich indes auch fern von historisierenden Manierismen. Und in der zentralen Arie „Erbarme dich“, da brilliert nicht allein Solistin und Konzertmeisterin Margarete Adorf, sondern auch die feinfühlig assistierende Streichergruppe.

Die Vokalsolistinnen und -solisten in dieser Aufführung, sie formieren sich zu einem homogenen, stilistisch hellhörigen Ensemble: Sopranistin Jasmin Maria Hörner gibt ihrer Arie „Aus Liebe will mein Heiland sterben“ eine faszinierende Verbindung aus Unberührtsein und Leidenschaft mit und bewältigt zudem souverän die Alt-Sätze, die Mendelssohn dem Sopran zuteilte.

Dazu gesellt sich Anne Bierwirths knabenhaft schlanker Alt, Tenor Georg Poplutz mit seiner prägnanten Diktion und seiner schmalen, aber sicheren Höhe, die Bassisten Christian Wagner und Florian Küppers, beide mit perfekt deutlichem Text.  Nur der  an sich sängerisch imponierende York Felix Speer hat Mühe mit Ralf Ottos Konzept und gibt dem Christus (in diesem Rahmen) allzu viel Wucht und Fülle mit.

Bach hat Jesu Leiden und Sterben in der Matthäuspassion nicht Grau in Grau gemalt. Er hat seiner Musik verhaltenen Glanz verliehen, eine Kraft, eine Schönheit, die dieses Werk gleich weit entfernen von mittelalterlicher Frömmelei und moderner Depression.

Der letzte Chor schließt nicht nur die musikalische Passionshistorie ab, er setzt auch unter Bachs Komposition und Mendelssohns Neufassung einen entschiedenen Schlusspunkt.

Bei Ralf Otto und seinem Ensemble klingt dieser Satz prunkvoll, aber nicht überladen, trauernd, aber nicht depressiv und im bedächtigen Tanzschritt der zugrundeliegenden Sarabande sogar ganz sacht beschwingt. Durch Mendelssohn und danach immer wieder (auch 1893 in Trier) ist die Matthäuspassion von einer Gottesdienst-Komposition zu einer umfassenden, geistlichen Musik geworden.

Die Aufführung einzuengen auf einige Wochen Passionszeit, tut dem Werk und seinem geistigen Potenzial nur Gewalt an.

Die Matthäuspassion ist mehr als ein Kirchenstück: Eine Musik für jeden Ort und für alle Zeiten – auch für St. Maximin in Trier und auch für den Sommer 2018.

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