Mr. Spielberg, was haben Sie sich da bloß gedacht?

Trier · Steven Spielberg hat sich eines belgischen Nationalheiligtums angenommen und "Die Abenteuer von Tim und Struppi" verfilmt - in 3D und für 130 Millionen US-Dollar (etwa 90 Millionen Euro). Das Ergebnis startet diese Woche in den deutschen Kinos und wird die Tim-Gemeinde spalten.

 Auf hoher See: Tim (Jamie Bell, rechts) und Kapitän Haddock, gespielt von Andy Serkis. Foto: Sony Pictures

Auf hoher See: Tim (Jamie Bell, rechts) und Kapitän Haddock, gespielt von Andy Serkis. Foto: Sony Pictures

Brüssel. Wer sonst als Steven Spielberg wäre der richtige Regisseur für eine Tim-und-Struppi-Verfilmung? Schon sein "Indiana Jones" basierte auf dem gleichen Prinzip wie Hergés Comics um den ewig 19-jährigen Reporter und seinen weißen Terrier: Der Held jagt durch die Welt und erlebt dabei die tollsten Abenteuer. Zudem hatte sich Tims "Vater", der 1983 gestorbene Brüsseler Zeichner Hergé, wenige Wochen vor seinem Tod in einem Telefonat mit Spielberg den Regisseur für eine Verfilmung gewünscht, weil ihn "Indy" so beeindruckt hatte.
Brillanter Auftakt


Spielbergs Umsetzung, produziert von Peter Jackson ("Der Herr der Ringe"), ist nichts anderes als Indiana Jones hoch zehn: ein irres, computer-animiertes Spektakel, eine Achterbahnfahrt mit Actionszenen, die die Welt so haarsträubend noch nicht gesehen hat, alles an der Spitze des derzeit technisch Möglichen.
Der Auftakt gerät brillant: dank eines Vorspanns, der Hergés Zeichnungen liebevoll zu bewegtem Leben erweckt. Man wähnt sich im richtigen Film. Dann der Schnitt in die animierte 3D-Welt: Die erste Einstellung führt uns auf einen Brüsseler Flohmarkt, ein Straßenkünstler - natürlich Hergé, eine schöne Idee - porträtiert unseren Helden. Den stellt ein per Computer auf Tim getrimmter Jamie Bell dar. Wie auch die anderen Schauspieler, darunter Andy Serkis als Kapitän Haddock und Daniel Craig als Bösewicht Iwan Iwanowitsch Sakharin, ist Bell nahezu unkenntlich gemacht, um der Comicfigur ähnlicher zu sehen. Der Effekt ist ein ganz anderer: Sie bleiben seltsam fremd und erhalten stattdessen etwas gespensterhaft Künstliches.
Drei Alben, ein Film


Die Geschichte, die Spielberg erzählt, basiert auf den drei Hergé-Alben "Die Krabbe mit den goldenen Scheren", "Das Geheimnis der Einhorn" und dessen Fortsetzung "Der Schatz Rackhams des Roten": Tim ersteht auf dem Flohmarkt das Modell des Seglers "Einhorn" - und muss schnell feststellen, dass sich auch noch andere für das Schiff interessieren. Denn es birgt ein Geheimnis, das die folgenden Ereignisse in Gang setzen wird.
Spielberg schaltet schon bald hoch und immer höher, er entfesselt ein Spektakel mit unheimlich detailreich ausgeschmückten Szenen - bloß keine Ruhe aufkommen lassen scheint die Devise, und man stellt fest: Das ganze Gerede von der großen Ehre, die es bedeute, diesen Film machen zu dürfen, von der Leidenschaft für Hergé und der erklärten Absicht, ganz nah an dessen Comics zu bleiben, es lenkt nur davon ab, dass Spielberg, Jackson und die Trickster von Weta Digital es nicht schaffen, der Geschichte und den Figuren Seele oder Wärme einzuhauchen.
Was Zeichner Hergé damals mit Punkt, Punkt, Komma, Strich schaffte, ersetzen sie durch Überwältigung - und packen ihr auch dramaturgisch bedenkliches Produkt so voll mit Einzelheiten, dass von Hergés berühmter "klaren Linie" nichts mehr übrig bleibt.
Der Zauber geht flöten


Auch der 3D-Effekt, anfangs noch offensiv eingesetzt, verflüchtigt sich, je länger man dabei zusieht, wie Schauwert auf Schauwert getürmt wird, um den Zuschauer visuell zu beeindrucken. Dabei bleibt auch der Hergé-Charme auf der Strecke, der doch die Comics bei ihren Liebhabern so sehr auszeichnet. Am Ende ist man geplättet, hat viel fürs Eintrittsgeld gesehen und sich gewiss nicht gelangweilt - aber ein Film zum Liebhaben ist das nicht. Ein Heiligtum wurde von Hollywood gekapert und seines Zaubers beraubt.
"Die Abenteuer von Tim und Struppi - Das Geheimnis der Einhorn" startet heute in den Kinos der Region

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