Musik, die zum Himmel strebt

Trier · Endlich einmal erweist ein Ensemble dem verkannten Heinrich Isaac die gebührende Reverenz. Freilich wollte sich auch das Ensemble "Vocalis Frankfurt" im Konzert des Mosel Musikfestivals nicht auf den reichen, schwierigen Stil des Renaissancekomponisten konzentrieren und belegte den zweiten Teil des Konzerts in Trier-Liebfrauen mit englischer Musik.

 Die Sänger von „Vocalis Frankfurt“ mit Dirigent Robin Dovento in der Liebfrauenbasilika in Trier.TV-Foto: Martin Möller

Die Sänger von „Vocalis Frankfurt“ mit Dirigent Robin Dovento in der Liebfrauenbasilika in Trier.TV-Foto: Martin Möller

Foto: Martin Dr. Möller (mö) ("TV-Upload Dr. M?ller"

Trier. Was für ein Zusammentreffen! Mitten in der frühgotischen Trierer Liebfrauenkirche entfaltet sich Vokalmusik der Renaissance. Es sind Kompositionen, die Jahrhunderte nach dem Kirchenbau geschrieben wurden. Und doch, es ist als gehörten sie zusammen, der hohe Zentralbau von St. Liebfrauen und diese Musik, die aufzustreben scheint.
Mosel Musikfestival


Das gut 20-köpfige Ensemble "Vocalis Frankfurt" hatte mit der "Missa de Apostolis" von Heinrich Isaac einen Komponisten ins Zentrum des Programms gestellt, der in der Konzertöffentlichkeit kaum präsent ist - zu Unrecht. Der Bonner Musikwissenschaftler Ludwig Weisgerber (1926-2012) hat beharrlich das umfangreiche Schaffen von Isaac (1450-1517) aufgearbeitet. Einen Durchbruch hat er nie erlebt. Jetzt erweist das Frankfurter Ensemble nicht nur Isaac Reverenz, sondern auch diesem Musikforscher die Ehre.
"Vocalis Frankfurt" - der Titel ist Programm. Das Ensemble kommt ohne unterstützende Instrumente aus. Und es praktiziert nicht den oft spröden und gelegentlich manierierten Umgang von Spezialensembles mit Alter Musik, sondern singt sie als traditionelle Chormusik aus.
Das mag für manche veraltet sein. Aber Dirigent Robin Dovento und sein Chor geben der großen, sechsstimmigen "Missa de Apostolis" von Isaac A-cappella-Qualitäten mit, die ihre Bedeutung nicht verloren haben. Dovento hat das Stimmen-Potenzial seiner Sängerinnen und Sänger ausgereizt.
Der Chor besticht mit Homogenität, guter Intonation und mit einem in sich ruhenden Gesamtklang. Hinzu kommen die sensibel ausgefeilte Dynamik und die Fähigkeit, der Musik Stimmungen mitzugeben - etwa das "Christe" im "Kyrie"-Satz anders zu färben als die eigentlichen "Kyrie"-Teile. Das sind beste Voraussetzungen für Isaac und seine differenzierte, teilweise fast doppelbödige Kunst. In der gewaltigen Sechsstimmigkeit der Apostel-Messe klingt Selbstbewusstsein des renommierten Komponisten mit. Und in der Tatsache, dass die Messe mit einem einstimmigen, gregorianischen Abschnitt beginnt und endet, manifestiert sich Demut gegenüber der kirchlichen Tradition.
Ob Choral oder mehrstimmiger Satz, die Frankfurter beherrschen beides. Und legen über die abwechselnd ein- und mehrstimmigen Passagen dieser Messe einen weit ausgreifenden Spannungsbogen.
Wie schön wäre es gewesen, hätte man noch anderes von Isaac aufgeführt. Vielleicht wollte man die rund 300 Besucher nicht überfordern mit Isaacs gelegentlich verschlossenem, in sich gekehrten Stil. Wobei das kompositorische Niveau auch nach der "Missa" blieb: Ein wohlklingendes, doppelchöriges "Credo" von Nicolas Gombert (1495-1560) und dann, im zweiten Teil, englische Renaissance. Die steht dem Dur- und Moll-gewohnten Hörer näher als Isaac. Tallis, Byrd, Weelkes und Orlando Gibbons klingen anschaulicher, griffiger, moderner, ohne sich in Simplizität zu flüchten. Man spürt, hier sind die Frankfurter zu Hause. Sie singen die Feinheiten dieser Kompositionen aus, haben aber auch Kraft für große Klang-Entwicklungen. Der offene, helle Chorklang mit einem sehr präsenten Sopran ist zudem ideal für englische Renaissance.
All das verbindet sich mit der Liebfrauen-Kirche zu einer Einheit. Englische Spätrenaissance in der Musik und französische Frühgotik im Bauwerk: Musik und Architektur, die zum Himmel streben. mö

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