Musikalische Zirkusveranstaltung

Luxemburg · Cameron Carpenter ist der vielleicht umstrittenste Tastenakrobat, den es in der Orgelwelt gibt. In der Luxemburger Philharmonie bestätigte er diesen Ruf.

Die einen vergöttern ihn vor allem wegen seiner teilweise ans Wahnwitzige grenzenden Technik. Die anderen lehnen ihn ab, wegen der Art, wie er die Orgel und die Musik behandelt. Grund genug, gespannt zu sein, als Carpenter nun ein Gastspiel in Luxemburg gab, zu dem sich für ein Orgelkonzert beachtliche 800 Zuhörer versammelt hatten. Und auch hier das gleiche Bild wie überall: frenetischer Applaus einerseits, Zuhörer, die während des Konzertes das Auditorium verlassen, andererseits.

Ist die Technik dieses weltweit gefeierten Stars wirklich so atemberaubend? Ja, teilweise ist sie es. Die Art, wie er es versteht, mit vier Fingern auf einem Manual und gleichzeitig mit dem Daumen ein anderes zu bedienen, ist beeindruckend. Auch das Pedalspiel, mit dem der ausgebildete Steptänzer agiert, lässt staunen. Repetitionen mit einem Fuß auf einem Ton erledigt er in einem Tempo, das andere mit den Händen nicht zustande bekommen. Man kann aber auch gut verstehen, dass mancher Organist Carpenter erst gar nicht an sein Instrument heranlässt, wenn man sieht, wie er mit seinen hochhackigen Schuhen auf dem Pedal rumtrampelt.

Abhängig von Hilfsmitteln



Was aber ist mit der Musik? Unter anderem stand Johann Sebastian Bachs Toccata in F, BWV 540, sowie der erste Choral von César Franck auf seinem Programm. Selbst wenn man außer acht lässt, dass die Trefferquote bei weitem nicht die 100 Prozent erreichte, war sein Spiel eine einzige Zumutung und machte deutlich, wovon Carpenter lebt. Es ist abhängig von den modernen elektronischen Hilfsmitteln (siehe Extra), mit denen er, wenn auch teilweise unpräzise, die Klangfarben in kürzester Zeit ändern kann.

Die Bach'sche Toccata im Pianissimo zu beginnen und dann bis zum Soloeinsatz des Pedals zum Tutti zu steigern, ist bar jeden Respekts vor dem Werk. Carpenter ist kein Diener der Musik, die Musik hat ihm und seinem Ruhm zu dienen. Klar vorgegebene Registrieranweisungen von Franck interessierten Carpenter nicht und damit spielte er mit aberwitzigen Klangkombinationen das Werk zu Tode, raubte ihm jede Schlüssigkeit.

Carpenter blendet. Man setze ihn an eine mechanische Orgel, die keinerlei elektronische Spielereien besitzt, und er ist verloren, er wird seinen Nimbus nicht aufrechterhalten können. Wer eine musikalische Zirkusveranstaltung erleben wollte, war in Luxemburg bestens aufgehoben. Wer ernsthafte Orgelmusik hören wollte, war fehl am Platze.

Extra

Elektronische Spielhilfen: Jeder kennt den Ausdruck, man müsse alle Register ziehen. Dies reflektiert darauf, dass man früher an einer Orgel mechanische Zugstangen hatte, mit denen die einzelnen Register eingeschaltet (gezogen) wurden. Mit Hilfe der modernen Elektronik ist es heute möglich, dass die Register mit kleinen Schaltern ein und ausgeschaltet werden und ein Organist über einen Computer Tausende von Registerkombinationen vorprogrammieren und bei einem Konzert per Knopfdruck abrufen kann. (gkl)

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