Musikalität ist keine Frage des Alters

Hannover · Als einer der ersten Westkünstler durfte Udo Jürgens in der DDR auftreten. Er galt als unpolitisch und landete dennoch auf dem Index. Jetzt hat der Chansonier, der im Herbst 77 Jahre alt wird, ein neues Album aufgenommen: "Der ganz normale Wahnsinn".

Hannover. Seine Songs waren Nummer eins in Deutschland, England und Japan, doch Udo Jürgens hat seine Erfolge nie gezählt. Im Mittelpunkt stand immer die Musik. Widersprüche und Konflikte hat er nie gescheut. Für das bissige "Lieb Vaterland" musste er 1970 viel Kritik einstecken. Auch war er sich der Umstände seiner Auftritte und dessen, was sie auslösten, immer bewusst.

Auftritt in DDR-Fernsehsendung



So scheute er sich nicht, 1976 - zwei Wochen nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns - in der DDR-Fernsehsendung "Ein Kessel Buntes aufzutreten. Jürgens nahm bewusst in Kauf, von der Stasi systematisch ausgespäht zu werden. Ob er mit seinen Konzerten im Osten Geld verdiente, war ihm egal. 1971 setzte die SED seinen Chanson "Es war einmal ein Luftballon" aufgrund der Zeile "Sie kennen keine Grenzen, die Luftballons der Welt" auf den Index. Erst 1987 durfte er, anlässlich der 750-Jahrfeier Berlins, wieder in der DDR live vor Publikum spielen. Dass der Sänger und Pianist die Grenzen des Schlagers längst überschritten hat, ist heute Konsens. Und Jürgens hat sich jung gehalten. Vor allem auf der Bühne wirkt der am 30. September 1934 in Klagenfurt als Udo Jürgen Bockelmann Geborene vital und würdevoll. Er könne heute sowohl viel höher und auch tiefer singen als zu Beginn seiner Karriere, sagt er.

Und so will er unbedingt wieder auf Konzerttournee. Nicht, weil er das muss oder weil ihn jemand zwingt, sondern weil es ihn zum "Tanz auf dem Vulkan" drängt.

"Höre ich auf, droht mir der Liegestuhl``", glaubt der Sänger. "Das ist für mich eine scheußliche Vorstellung. Ich mache gerne mal Urlaub, aber das absolute Nichtstun ist mir ein Gräuel. Ich finde, jeder Mensch sollte selbst entscheiden können, wann er in Rente geht. Unsere Gesellschaft hat ein riesiges Potenzial an Menschen über 60, das leider stillgelegt wurde."

Vor einem Jahr hatte er eine komplizierte Operation an der Hüfte und konnte deshalb vorerst nur noch sitzen. Nichts war nahe liegender, als sich ans Klavier zu hocken. Und da wurde er plötzlich von der Muse geküsst. Weil ihm die Ideen aus den Fingern flossen, hat Jürgens die Musik auch gleich selbst produziert: "Aus den Berliner Orchestern, von den Philharmonikern bis zum Opernorchester, suchte ich mir wirklich die Elite der Musiker zusammen. Während der Arbeit haben wir schon bemerkt, dass es etwas Besonderes wird." Udo Jürgens feiert das Leben und besingt den "ganz normalen Wahnsinn, der unseren Alltag beherrscht. Auf dem gleichnamigen Album erklingen 13 handgemachte Lieder und Balladen zwischen Lebensfreude und Melancholie, Nachdenklichkeit und sanfter Satire. Darunter eine Neufassung des Liedes "Mein erster Weg" von 1967.

Hochaktuell hingegen das gesellschaftskritische "Du bist durchschaut" über die Macht der modernen Medien. Dazu Jürgens: "Kameras gucken in jeden Garten, jede Wohnung, jedes Haus. Nichts mehr kann geheim bleiben. Unsere Chance ist die Jugend, die sich mit diesen modernen Medien abgibt und unbewusst die Welt kontrolliert. Eigentlich wollen sie sich ja nur amüsieren, sie verabreden sich, sie stellen fest, dass sie unterdrückt werden. Sie tauschen sich über diese Dinge aus und dann geraten Regierungen in Schräglage. Es wird auf Dauer nicht möglich sein, dass wir alle Internetnetze dort abstellen, wo es schwierig wird. Und das ist auch gut so." Jürgens hat inzwischen mehr als 100 Millionen Tonträger verkauft. Am 23. Februar 2012 ist er in der Arena in Trier.

Aktuelle CD: Udo Jürgens Der ganz normale Wahnsinn (Ariola/Sony Music)

Tickets zum Konzert am 23. Februar 2012 in der Arena in Trier gibt es in den TV-Service-Centern in Trier, Bitburg, Wittlich, unter der TV-Tickethotline 0651-7199-996 und online unter www.volksfreund.de/tickets

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort