Musizieren in drei Dimensionen

Detmold · Unter den unabhängigen CD-Produktionsfirmen ist das Detmolder Unternehmen MDG eines der angesehensten. Regelmäßig werden seine Produktionen mit den begehrten Echo-Preisen bedacht - zuletzt eine Aufnahme des Berolina-Ensembles mit der Klarinettistin Friederike Roth aus Bernkastel-Kues. Wer bei einer Aufnahmesitzung zuhört, stellt fest: Trotz hochentwickelter Technik geht es nicht um Klangeffekte, sondern immer um die Musik.

Detmold. "Hier ist ja alles leer!" Werner Dabringhaus ist ziemlich erstaunt und auch etwas genervt. Eigentlich sollten jetzt die Aufnahmen für eine neue CD beginnen. Aber so rund und schön Musik im schmucklosen Saal der ehemaligen Abtei Marienmünster bei Detmold auch klingt - ohne dämpfende Elemente hallt es darin für eine Aufnahme viel zu sehr. Und so schleppen alle, die gerade anwesend sind, stoffbespannte Stühle hinein. Nur Viller Valbonesi, der in Berlin lebende italienische Pianist, Jahrgang 1982, spielt sich am Flügel für die anstehende Aufnahme ein.
Überwältigender Klang


Für Werner Dabringhaus, den Diplom-Tonmeister, der gemeinsam mit Reimund Grimm die CD-Produktionsfirma MDG betreibt, ist ein Raum keine Zutat, die man beim Aufnehmen und Abhören möglichst vergisst, sondern wesentlicher Bestandteil der aufgenommenen Musik. Bei MDG finden Aufnahmen nicht in einem Studio mit trockener Akustik statt, sondern in "natürlichen Räumen". Dabringhaus und Grimm haben außerdem für Aufnahme und Wiedergabe die dritte Dimension entdeckt: zwei Lautsprecher vorne, zwei hinten und zwei vorne in der Höhe. "2+2+2 Recording" heißt das Konzept ganz sachlich. Das ist eine Untertreibung. Denn mit der neuen, patentierten Technik entfaltet Musik eine überwältigende Weite und Fülle.
MDG liefert keine Massenware. Die Firma und die mit ihr verbundenen Musiker haben sich stattdessen auf die Suche nach unbekannten Schätzen begeben. Und sind da erstaunlich häufig fündig geworden. Gerade wurden eine Aufnahme des Berolina-Ensembles und Musik von Heinrich Hofmann (1842-1902) mit dem begehrten Echo-Preis ausgezeichnet. Kürzlich hat Geiger und Ensemble-Kopf David Gorol den Komponisten Ernst Rudorff entdeckt. Rudorff lebte von 1840 bis 1916 und gilt als Romantiker in der Nachfolge von Mendelssohn, Schumann und Brahms. "Auf einzigartige Weise verbinden sich in Rudorffs Leben und Werk Natur- und Kunstästhetik, die jeweils Natürlichkeit und reine Empfindung über alles stellte", heißt es im renommierten Musiklexikon MGG.
Das Streichsextett von Rudorff hat das Berolina-Ensemble bereits mit Dabringhaus aufgenommen. Jetzt stehen als Ergänzung Klavierwerke des Berliner Komponisten an, gespielt vom Wahl-Berliner Viller Valbonesi. Der musiziert am Konzertflügel Steinway-D "Manfred Bürki" von 1901, den MDG vor Jahren erworben und restauriert hat. Ein herrliches Instrument, mit einem erstaunlich eigenständigen Klang-Charakter.
Im Übrigen bleibt der materielle Aufnahme-Aufwand erstaunlich gering - ein Ständer mit Mikrofonen für die 2+2+2-Technik und zwei Raum-Mikrofone in gebührendem Abstand. Selbstverständlich verzichtet MDG auf alle klangmanipulierenden Techniken.
Auch die personelle Besetzung ist bescheiden. Gerade einmal drei Akteure sind an diesem Aufnahmetag dabei: Pianist Viller Valbonesi, Klavierstimmer Thorsten Kohring und Werner Dabringhaus. Der sitzt drei Räume weiter vor übermannshohen Lautsprecherboxen und feilt im Dialog mit dem Pianisten höchst konzentriert an Klang und Interpretation: "Vielleicht die Oberstimme mehr legato", "mehr Bass", "da klingt ein Dämpfer-Geräusch mit", "der Anfang ist etwas über den Tasten gespielt" - lauten hier und da die Hinweise des Tonmeisters. Auch Lob gibt es häufig, und es fällt fast euphorisch aus. "Sehr schön" sei eine Passage gewesen, "zauberhaft" sogar eine andere.
Verzetteln sich Pianist und Tonmeister damit nicht in Details? Nein, sagt Dabringhaus. Der Tonmeister habe immer das große Ganze der Musik im Blick. Gerade wenn eine konkrete Schwierigkeit überwunden sei, gebe das zudem dem Interpreten wichtige Impulse für die folgenden Abschnitte. So, als würde sich ein Tor öffnen.
Drei Arbeitstage sind bei MDG nötig für die Aufnahme einer CD mit gut einer Stunde Laufzeit, drei weitere für den Schnitt und ein Tag, um das Ergebnis zu optimieren. Ob sich dieser Aufwand lohnt angesichts zahlreicher CD-Produktionen, die nur auf einem Konzertmitschnitt basieren, bestenfalls mit einer anschließenden "Reparatursitzung"?
Sorgfalt und Ideenreichtum


Und überhaupt: Kann eine audiophile Marke wie MDG in einem CD-Markt bestehen, in dem ein hoher Prozentsatz aus aufgefrischten Alt-Einspielungen mit entsprechend niedrigen Preisen besteht? Dabringhaus reagiert auf solche Fragen ganz gelassen. Aus seiner Sicht geben drei Vorzüge den Ausschlag: Ideenreiches Programm, künstlerische Sorgfalt und hervorragender Klang.
Und ein Unterscheidungsmerkmal gibt es auch: "Eine Platte ist dann gelungen, wenn der Hörer nur mit schlechtem Gewissen die Pausentaste drückt."

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