Ein Abend gegen das Vergessen Frenetischer Applaus: Natalie O’Hara bewegt in Trier mit Gedenken an jüdische Pianistin

Trier · Mit dem Bühnenstück „Alice – Spiel um dein Leben“ hat Natalie O’Hara der jüdischen Pianistin Alice Herz-Sommer ein bewegendes Denkmal gesetzt. Die 630 Zuschauer im Trierer Theater riss es mit frenetischem Applaus von den Sitzen.

 Natalie O’Hara am Klavier.

Natalie O’Hara am Klavier.

Foto: Bildnachweis: Lahola – Kammerspiele

Ein Flügel und eine sich verausgabende Schauspielerin und Musikerin – mehr brauchte es am Samstag auf der Bühne des Trierer Theaters nicht für eine intensive Zeitreise in das Leben der jüdischen Pianistin Alice Herz-Sommer (1903-2014). Natalie O’Hara brachte das im Oktober uraufgeführte musikalische Schauspiel aus den Hamburger Kammerspielen erstmals auf die große Theaterbühne und spielte alle knapp zwei Dutzend Rollen selbst – ohne Kostümwechsel, ohne Requisiten und am Flügel auch ohne Noten. Ein Wagnis sicherlich auf der weitgehend leeren Bühne im Großen Haus, das den 630 Besuchern einiges an Fantasie abverlangte – aber das gelang. Denn O’Hara erwies sich in einfacher weißer Bluse und grauer Hose als meisterhafte Verwandlungskünstlerin und ausdrucksstarke Pianistin, deren virtuoses Spiel das Publikum zu Zwischenapplaus hinriss. Eine ausgeklügelte Lichttechnik sowie Ton- und Videoeinspieler, etwa wie Blätter einfliegende Zeichnungen aus den NS-Lagern, unterstützten die Darstellerin.

„Alice – Spiel um dein Leben“ aus der Feder von Kim Langner bringt das Leben der aus Prag stammenden Jüdin Alice Herz-Sommer auf der Grundlage von deren Biografie aus dem Rückblick auf die Bühne. Im September 1945 ist die Musikerin aus dem KZ Theresienstadt befreit und spielt über Radio Prag Beethovens Klaviersonate Appassionata, ein Konzert, das die überlebende Schwester in Palästina hört und sie somit ausfindig macht. Chronologisch geht es dann zurück in die Zeit ab Juli 1942, wo erst die 73-jährige Mutter und später die ganze Familie von den Nazis deportiert wird. Glücklicherweise interessieren sich die Deutschen für die Klavierkünste der Inhaftierten, um sie für ihre Propaganda einzusetzen. Das rettet sie und ihren sechsjährigen Sohn vor dem Tod.

Natalie O’Hara zeigt Herz-Sommer als eine sensible, sehr disziplinierte Frau, die inmitten von Hunger, Kälte und Gewalt nicht verzweifelt und jedes Bangen und Quengeln ihres Kindes mit etwas Mutmachendem beantwortet, mit wohlwollenden Gedanken, einer poetischen Geschichte, mit zugewandter Geste. „Die Musik ist so schön“, sinniert sie an einer Stelle, „wenn Hitler die hören würde ….“ Während draußen Schüsse hallen, klammert sie sich an Melodien in ihrem Herzen. Es ist eine Hommage an eine bewunderte Künstlerin, die aber ohne theatralische Gesten auskommt, sondern die bescheidene Person würdigt, die Alice Herz-Sommer gewesen ist.

Der Abend gegen das Vergessen fordert auch die Zuschauer heraus, lassen sich die vielen Dialoge aus dem Mund einer einzigen Darstellerin doch immer erst etwas verzögert einordnen. Doch werden sie nicht zuletzt von der Präsenz O’Haras und ihrem präzisen Spiel in den Bann gezogen, das auch choreographisch die Bühne ausfüllt. Nach dem letzten Ton reißt es das Publikum mit frenetischem Applaus von den Sitzen. Die gute Nachricht für alle, die den Abend verpasst haben: Intendant Manfred Langner überlegt, das Stück erneut nach Trier zu holen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort