Naturbild mit doppeltem Boden

Wittlich · Das Mainzer Staatsorchester spielt Richard Strauss "Eine Alpensinfonie" im Wittlicher Eventum.

Wittlich Wie gut, dass Wittlichs "Eventum"-Mehrzweckhalle eine stattliche Höhe aufweist. Da konnte Arkady Shilkloper sein circa fünf Meter langes Alphorn den 600 Besuchern stolz in voller Länge vorführen. Wie sich zeigte, gab es dazu einigen Grund. Der russische Alphornist erwies sich in Daniel Schnyders Konzert für Alphorn und Orchester und dann in einer ausgedehnten Zugabe als perfekter, erstaunlich flinker Solist. Zudem waren die unterschiedlichen Klangstile, die Schnyder wie auf einer Palette ausbreitet, bei Dirigent Hermann Bäumer und dem Landesjugendorchester bestens aufgehoben.
Es ist eine Musik zwischen Alpen-Romantik und Nachtclub-Stimmung, mit deutlichen und vom Orchester vorzüglich realisierten Big-Band-Anklängen. Nicht gerade ein Großwerk der Musikgeschichte, aber doch eine geschickte, klangsinnliche Komposition. Angefangen hatte das Konzert mit dem Mainzer Staatsorchester und der Ouvertüre zu Rossinis "Wilhelm Tell". Hermann Bäumer legte den Schwerpunkt nicht auf das allzu populäre Hauptthema, sondern auf die langsame Einleitung. Da klang die französische "Grand Opéra" an und mit ihr Ernst, Gewicht, vielleicht sogar Tragik - Dinge, die man Rossini nicht unbedingt zutraut.
Aber das große Ereignis stand noch bevor. Schon während der Pause versammelten sich beide Orchester zum 120-Personen-Klangkörper der "Alpensinfonie" von Richard Strauss. Es wurde ein Höhepunkt an akustischer Überredungskunst und musikalischer Eindringlichkeit. Die letzte sinfonische Dichtung, die Strauss schrieb, ist zunächst einmal eine gigantische Natur-Schilderung.
Faszinierend, wie Hermann Bäumer und das Orchester die Komposition aus dumpfer Nachtstimmung heraus zum Sonnenaufgang und damit zum ersten, strahlenden Höhepunkt entwickeln. Ob Wasserfall, ob Waldszene, ob blumige Wiesen, Alm oder Gletscher - immer wieder entfalten Orchester und Dirigent die Strauss-Partitur zu erstaunlicher Anschaulichkeit. Fast könnte es ein Musikdrama ohne Text sein.
Aber die Alpensinfonie ist mehr: ein Werk mit doppeltem Boden. Unterhalb der effektvoll erzählenden Ebene vollzieht sich eine Vielzahl von sorgfältig aufeinander abgestimmten Vorgängen. Strauss praktiziert, was er an Richard Wagner rühmte - die "Anwendung des reichsten polyphonen Stiles", die Beweglichkeit gerade der Innenstimmen. Damit hat er es in der Alpensinfonie zur Höhe seiner Orchesterkunst gebracht.
Auch in der Wittlicher Aufführung kommt der Orchesterapparat nie daher wie eine amorphe Klangmasse. Er ist bis ins Detail hinein geformt. Die Musikerinnen und Musiker, sie nehmen die Herausforderung der Partitur an.
Ihre Präsenz gibt den Mittelstimmen Kontur, den Orchestergruppen eigenes Profil und dem Klang eine erstaunliche Biegsamkeit. Bruchlos steuern Bäumer und seine Orchester den Höhepunkt des Werks mit der effektvollen Donnermaschine an.
Und im "Ausklang" halten sie die Spannung aufrecht zu einem herrlichen, echt Straussischen Abgesang, bei dem man den Schlussakkord zugleich bange und sehnsüchtig erwartet. Welch ein Ereignis!
Extra: BILDER IN STRAUSS’ "EINE ALPENSINFONIE"


Nacht - Sonnenaufgang - Der Anstieg - Eintritt in den Wald - Am Wasserfall - Auf blumige Wiesen - Auf der Alm - Durch Dickicht und Gestrüpp auf Irrwege - Auf dem Gletscher, Gefahrvolle Augenblicke - Auf dem Gipfel - Vision - Nebel steigen auf - Die Sonne verdüstert sich allmählich - Elegie - Stille vor dem Sturm - Gewitter und Sturm - Abstieg - Sonnenuntergang - Ausklang - Nacht

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