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Was für ein Buch! Die meisten Autoren brauchen Regalmeter, um das auszudrücken, was Marion Poschmann in "Die Sonnenposition" auf 340 Seiten unterbringt. Dicht - das ist das Hauptcharakteristikum dieses Romans.

Die wortmächtige Sprache, eigensinnig, voller Symbolik, verrät Satz für Satz die Lyrikerin Poschmann. Sie beobachtet lustvoll, findet überraschende und kluge Assoziationen, reißt mit in Gedanken- und Gefühlswelten. Die Handlung wirkt angesichts der Fabulierkunst der Autorin fast zweitrangig. Protagonist Altfried Janich arbeitet als Klinik-Psychologe in einem heruntergekommenen ostdeutschen Schloss und erzählt aus der Sonnenposition - von einer übergeordneten Warte aus - wohlwissend, dass die Sonne nur die Oberfläche bescheint. Das ist ein roter Faden dieses Buchs: Nichts ist, wie es scheint. Janich sucht Distanz zu seinen Patienten, während sein Leben zunehmend mit dem der Kranken verschwimmt. Er betrauert den Tod Odilos, der nur vordergründig sein Freund war. Die beiden jagten mit der Kamera nach Erlkönigen: neuen Automodellen, die, hinter Folien versteckt, in abgelegenen Gebieten getestet werden. Dabei versuchten sie, selbst unsichtbar zu werden. Immer wieder spielt Licht eine Rolle: So starb Luminiszenz-Experte Odilo, weil er nachts ohne Scheinwerfer fuhr. Poschmann theoretisiert über unterschiedliche Denkschulen der Psychiatrie. Referiert Krankenakten der Klinik-Bewohner, die meist an der Wende zerbrachen. Auch das ist ein Thema dieses Buches: deutsche Geschichte. Es geht um Gaskammern und Vertriebenenschicksale, den Alltag in DDR und BRD, die Annäherung nach dem Fall der Mauer. Dieses erzählerische Hakenschlagen, der Reichtum der Sprache, die vielschichtigen Motive lassen den Leser immer wieder innehalten. "Die Sonnenposition" ist kein Buch zum Verschlingen. Dennoch: absolute Empfehlung für dieses außergewöhnliche Werk, das auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises stand. Man kann es ja zweimal lesen. Oder dreimal. Inge Kreutz Marion Poschmann: "Die Sonnenposition", Suhrkamp-Verlag, 337 Seiten, 19,95 Euro.

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