St. Maximin Neue Impulse für Musiker und Hörer

Trier · Eröffnung des Mosel-Musikfestivals mit einem anspruchsvollen Volksmusikprogramm.

 Jörg Breiding dirigiert den Knabenchor Hannover und das Blechbläserensemble Canadian Brass.

Jörg Breiding dirigiert den Knabenchor Hannover und das Blechbläserensemble Canadian Brass.

Foto: TV/Martin Möller

 Was für eine Harmonie! Beim Eröffnungskonzert des Mosel Musikfestivals in St. Maximin in Trier kam zusammen, was scheinbar gar nicht zusammengehört. Aber dem Knabenchor Hannover, der Blechbläsergruppe Canadian Brass und Dirigent Jörg Breiding – ihnen gelingt das Erstaunliche. Zumindest im zweiten Drittel der Stuhlreihen von St. Maximin mischen sich ihre Klänge vorzüglich. Die Blechbläser geben dem Chor eine Prägnanz und Präsenz mit, die a cappella nicht ohne weiteres realisierbar wären.

Und die jungen Knaben- und Männerstimmen entfalten genau die Vorzüge, die gute Knabenchöre auszeichnen, und vermitteln sie auch den Blechbläsern. Es ist ein heller und doch warmer Chorklang, auch in den Höhen ohne Schärfen. Jörg Breiding hat seinen Chor so geformt, dass  nichts Diffuses mehr bleibt, dass die Intonation stimmt und auch die Mittelstimmen sauber und deutlich klingen. Gemeinsam mit Canadian Brass entsteht so ein Gesamtklang, der auch nach längerer Zeit nicht ermüdet, der Frische und Natürlichkeit ausstrahlt und für Nuancierungen offen  bleibt. Gibt es bessere Voraussetzungen für ein Volksliedprogramm?

Andreas N. Tarkmann hat die Volks- und Kinderlieder an diesem Abend sorgfältig und feinfühlig arrangiert. Er bewegt sich mit großem Geschick auf dem schmalen Grat zwischen spätromantischer Überfrachtung und unterhaltungsmusikalischer Trivialität. Immer wieder klingt etwas Echtes, etwas Ursprüngliches mit.

Sogar die Volkslied-Potpourris, vor denen Kulturbeflissenen in der Regel graut, sind nicht musikalisches Allerlei, sondern thematisch klar gegliedert – freilich mit einigen eher gewaltsamen Übergängen zwischen den Einzelstücken. Ob Seemannslieder, Handwerkerlieder, Tierlieder oder Abendlieder, die Zusammenstellungen haben Profil und Charakter. Und weil sich Tarkmanns Bearbeitungen nicht vordrängen, sich nicht durch drastische Spezialeffekte auszeichnen wollen und sich auf ein paar Zitate beschränken, bleiben sie natürlich und stellenweise fast liebevoll.

Klar, dass sich ein Weltklasse-Ensemble wie Canadian Brass nicht aufs demütige Begleiten beschränkt, sondern immer mal wieder akustisch und optisch an die Rampe rückt. Dabei tauschen sie unbekümmert Robert Schumanns „Kinderszenen“  gegen die Beatles aus, und die Tuba liefert  im „Tuber Tiger Rag“ auf der Bühne ulkige Akrobatik mit. Und könnte es sein, dass die Musik aus der Neuen Welt noch unmittelbarer, noch spontaner wirkt als die Volkslied-Bearbeitungen im Programm?

Volkslieder im deutschen Musikleben zu etablieren, ist nicht leicht. Und wahrscheinlich wurde das „Projekt Volkslied“ bislang noch nicht zu Ende gedacht und vielleicht auch nicht zu Ende realisiert. Sollte der Begriff wirklich so weit gefasst bleiben, dass sogar Melodien wie die „Liebe der Matrosen“ als Volkslieder durchgehen können? Behalten Tarkmanns Arrangements auch dann ihren Reiz, wenn mal keine Spitzenformationen am Start sind? Wie steht es mit dem heiklen Verhältnis zwischen Volks- und Kunstlied in den Programmen? Da bleiben noch Fragen offen – kein Wunder bei der Volkslied-Abstinenz der letzten Jahrzehnte.

Und doch: An der Begeisterung der 550 Zuhörer in St. Maximin lässt sich ablesen: Anspruchsvolle, kitschfrei arrangierte und kompetent realisierte Volksmusik gehört ins deutschen Musikleben. Mit Volksliedern lässt sich Musik neu erleben – frei vom Klingklang in Kaufhäusern, Restaurants und Arztpraxen, frei auch von der oft überanstrengten Hochkultur in Opern- und Konzerthäusern. Wird Volksmusik so ernst genommen wie jetzt in St. Maximin, dann kann sie zu einem vielversprechenden dritten Weg werden.

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