Kultur Schöpfungsvisionen im Halbdunkel

Trier · Mühsamer Neustart für Triers Philharmonisches Orchester in der Europahalle.

Es war eine seltsam beklemmende Stimmung in der Trierer Europahalle. Aus unbekannten Gründen war der gesamte Raum in schummriges Halbdunkel getaucht. Die Türhüterinnen mussten jeden einzelnen Besucher zu seinem Sitzplatz bringen. Von dort aus nahmen sich die gähnend leeren Stuhlreihen dann aus wie die Titanic vor ihrem Untergang.

Das Zweitkonzert und die „Concert Lounge“ am Freitag, 4. September, waren abgesagt worden. Und das Sinfoniekonzert fand sichtlich unter erschwerten Bedingungen statt: Keine Dekoration, nichts, was in irgendeiner Weise Stimmung verbreitet.

Das reduzierte und auf weit auseinander liegenden Positionen verteilte Orchester sowie die rund 150 Besucher mussten sich mit einer staubtrockenen Akustik und einer völlig neutralen Studio-Stimmung begnügen.

Und auch die vorsichtigen Anmoderationen von Dirigent Wouter Padberg kamen nicht an gegen die unpersönliche Umgebung, in der das Konzert stattfinden musste. Entsprechend unwillig reagierte auch das Publikum. „Noch nicht einmal Blumen“, sagte ein Besucher nach dem Konzert. Sollte das die geeignete Szenerie gewesen sein für den Neustart der Trierer Philharmoniker nach der unverschuldeten Corona-Pause? Dass sich dann doch noch ein kleines Wunder auftat, gehört dabei zu den unvermuteten Glücksfällen.

Fest steht: Technik und Logistik des Trierer Theaters hatten sorgfältig gearbeitet. Sie hatten auch den leisesten Anschein der Nachlässigkeit in Hygienesachen vermieden. Dass damit auch die ganz spezifische Stimmung eines Konzerts – und mehr noch: dass damit überhaupt ein Gutteil Musik verlorenging, hatten die Organisatoren entweder nicht erwartet oder notgedrungen in Kauf genommen.

Orchestermusizieren ist unter solchen Umständen nicht gerade ein Vergnügen. Das war auch vom Besuchersitz aus im vorderen Raum-Drittel deutlich nachzuvollziehen.

Die Ouvertüre zu „Zais“, Jean-Philipp Rameaus „Ballet heroique“ über die Erschaffung der Welt, verliert in diesem Ambiente ihre dramatische Brisanz und verfällt zur braven Klangflächen-Etüde. Francis Poulencs „Suite francaise“ nach Renaissance-Tänzen von Claude Gervaise musste ohne den schelmischen Witz auskommen, der Poulencs Musik so reizvoll macht.  Einzig in den Couperin-Bearbeitungen von Richard Strauss entfalteten die Philharmoniker etwas von einem noblen, ausschwingenden Musizieren.

Das kleine Wunder danach muss sich offenbar in der Pause zugetragen haben. Jedenfalls betrat ein durchweg gewandelter Klangkörper seine Plätze. Da war sie endlich: Die pralle Musizier-Energie, die sogar negative Impulse aus Raum und Beleuchtung abfing. Jacques Iberts „Divertissement“ glänzte mit Eleganz und stilistischer Vielfalt und zitierte sogar Mendelssohns „Hochzeitsmarsch“. Und mit Milhauds „Création du Monde“ hatte sich das Orchester dann endgültig verabschiedet von aller Mühsal.

Sie musizierten – brillant im dominierenden Bläsersatz, markant und präzise im Schlagwerk und immer mit filmmusikalischer Prägnanz. Milhauds Schöpfungsmusik kommt ganz ohne romantische Träumerei aus. Sie entwickelt sich aus verhaltenen Anfängen zu einer geradezu tropischen Klangvielfalt. Und die Philharmoniker – sie brachten die Deutlichkeit und Präzision auf, ohne die Milhauds Instrumentation blass und beliebig bliebe.

Das Publikum jubelte. Und die Forderung nach einer Zugabe stieß bei den Musikern zunächst auf Ratlosigkeit. Wann wurde am Ende eines Trierer Sinfoniekonzerts schon einmal eine Zugabe gespielt?

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