Nicht Diva, sondern Gestalterin

Sie bescherte vielen Opernfreunden unvergessliche Erlebnisse - auch in Trier. Die Sängerin Hildegard Behrens ist im Alter von 72 Jahren in Tokio an einer Gehirnblutung gestorben. Sie war eine der prägenden Sopranistinnen des 20. Jahrhunderts.

Tokio. Wer sie auf der Bühne erlebt hat, wird sie nicht vergessen. Keine ätherische Sängerin mit purem Wohllaut, dafür eine Darstellerin von Weltrang, die ihre Rollen stets beseelte, ihren Figuren Größe verlieh und ihre vielfältigen sängerischen wie schauspielerischen Mittel kompromisslos zur Gestaltung von Charakteren einsetzte. "Mir gehen Ausdruck und Wahrhaftigkeit über alles", sagte sie 1998 im TV-Interview.

Sie war die "Elektra", als die Trierer Antikenfestspiele vor elf Jahren aus der Taufe gehoben wurden. "Sie beherrscht die Szene jede Sekunde, und sei es nur mit dem Zucken eines Augenlids", hieß es seinerzeit in der Kritik. Kein Zufall, dass man sie in der Theaterwelt ehrfurchtsvoll als "Duse der Oper" titulierte.

Ihre Weltkarriere hatte erst recht spät begonnen, als Herbert von Karajan sie als Vierzigjährige zu seiner Salzburger Salome machte. Die Landarzt-Tochter aus Norddeutschland erlebte einen atemberaubenden Aufstieg. Neben Franz Grundheber war sie eine unvergessliche Marie in Abbados Wiener "Wozzeck", für Leonard Bernstein sang sie die Isolde, mit Karl Böhm hinterließ sie einen unsterblichen Fidelio.

Da war der Weg zu Wagners Ring-Heroinnen nicht mehr weit. Wobei Behrens das Pech hatte, dass ihre beiden großen Nibelungen-Produktionen 1990 in New York (Regie: Otto Schenk) und 1984 in Bayreuth (Regie: Peter Hall) szenisch weit hinter dem zurückblieben, was sie hätte leisten können.

Große Gefühle statt künstlicher Stilisierung



Die schweren Wagner-Partien führten die studierte Juristin aber auch an die Grenzen ihrer Stimme. Behrens war keine dramatische Sopranistin mit unerschöpflichen Kraftreserven, sie erzielte ihre Wirkung durch gezielte Effekte. "Passion vor Stil", überschrieb das "Große Sängerlexikon" das ihr gewidmete Kapitel. Das sei ihr "lieber als die blankgeputzte, polierte Art" vieler Aufnahmen, lautete ihre Erwiderung.

Dieses Prinzip galt auch für ihr Repertoire. Immer wieder setzte sie sich für zeitgenössische Komponisten und Werke jenseits des Mainstream ein. Kein Zufall, dass sie die Salzburger Uraufführung von Luciano Berios Oper "Cronaca del luogo" im Jahr 1999 als Höhepunkt ihrer Karriere empfand.

In den letzten Jahren war es bis auf einige große "Altersrollen" und regelmäßige Liederabende etwas ruhiger um die Sängerin geworden. Der plötzliche Tod traf sie am Vorabend eines geplanten Konzertes beim Kusatsu-Sommermusikfestival in Japan.

In Trier war sie zuletzt im Jahr 2000 zu hören, bei einem Benefizkonzert für die Antikenfestspiele, wo sie noch einmal in unnachahmlicher Weise den Abgesang der Brünnhilde aus der "Götterdämmerung" interpretierte. Eine Sängerin, die nie Diva sein wollte, sondern Menschen-Gestalterin.

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