Nicht zu heiß für Pianisten

Colmar · Das Konzept hat sich bewährt - seit nunmehr 28 Jahren: Der Dirigent Vladimir Spivakow wählt jedes Jahr einen weltberühmten Künstler oder eine Künstlerin aus, die er mit seinem Orchester, der russischen Nationalphilharmonie, knapp zwei Wochen lang im Elsass feiert. In diesem Juli ist es der Violinist Jascha Heifetz.

Colmar. Einen Tag, nachdem der 19-jährige Jascha Heifetz 1920 sein Londoner Debüt gegeben hatte, erhielt er einen Brief von George Bernhard Shaw. Der irische Spötter, im Hauptberuf Dramatiker, war bekanntermaßen nicht leicht zu beeindrucken. Der russische Teenager hatte es offenbar geschafft: "Wenn Sie nicht aufhören, einen neidischen Gott mit Ihrem übermenschlich perfekten Spiel derart zu provozieren", schrieb Shaw, "werden Sie jung sterben. Ich rate Ihnen eindringlich, jeden Abend anstelle eines Gebets ein Stück besonders schlecht zu spielen. Denn kein Sterblicher sollte so fehlerlos auf der Geige sein."
Vergleich mit Paganini


Glücklicherweise erfüllte sich Shaws Prophezeiung nicht. Heifetz wurde 86 Jahre alt (er starb am 11. Dezember 1987) - obwohl er weiterhin so makellos spielte, dass es den Kollegen ziemlich blümerant zumute werden konnte. Der ebenfalls weltberühmte Violinist Mischa Elman besuchte einmal in Begleitung des nicht minder populären Pianisten Leopold Godowsky ein Konzert seines Kollegen. Heifetz' wahnwitziges Spiel ließ Elman den Schweiß auf die Stirn treten. Während er sich die Tropfen abtupfte, flüsterte er Godowsky zu: "Schrecklich heiß hier, nicht wahr?" Die sarkastische Antwort: "Nicht für Pianisten."
"The King" - das war, lange vor Elvis Presley, der Violinist Jossif Ruwimowitsch Heifetz, dessen Rang die Kollegen neidlos anerkannten. Er wurde in eine russisch-jüdische Musikerfamilie im - damals russisch besetzten - litauischen Vilnius geboren und erhielt vom Vater ab dem dritten Jahr Geigenunterricht. Drei Jahre später trat er mit Mendelssohn Bartholdys Violinkonzert erstmals an die Öffentlichkeit. 1912 tourte er durch Deutschland, und bereits 1914 erhielt er den Ritterschlag als Solist bei einem Konzert mit den Berliner Philharmonikern unter deren damaligem Chef Arthur Nikisch. Er spielte das Tschaikowsky-Konzert, und Nikisch, selbst ein erfahrener Violinist, meinte, noch nie ein vergleichbares Geigenspiel gehört zu haben.
Jascha Heifetz gilt als, wenn nicht der einflussreichste, so doch als einer der einflussreichsten Violinisten aller Zeiten. Immer wieder wurde er in Zusammenhang mit Paganini genannt, den natürlich keiner der Heifetz-Enthusiasten live erlebt hatte. Man hat ihn einfach ebenbürtig auf das Podest des Teufelsgeigers gestellt - und Paganini dürfte es wohl recht gewesen sein.
Konzerte für die Alliierten


Diesem Künstler, der 1925 die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen hatte und seiner Wahlheimat fortan mit ganzer Seele verfallen war - Hunderte Konzerte gab er während des Zweiten Weltkriegs für die Alliierten in Italien, Frankreich und Deutschland, oft auf einem Pritschenwagen stehend -, diesem Künstler ist die 28. Ausgabe des Internationalen Musikfestivals in Colmar gewidmet. Dessen Leiter Vladimir Spivakow hat für die insgesamt 18 Konzerte vom 5. bis zum 14. Juli sowohl berühmte Namen und einige Newcomer verpflichtet und - natürlich - den Schwerpunkt auf Musik für die Geige gelegt.
So gibt es die Klassiker des Genres, die Violinkonzerte von Mendelssohn Bartholdy (9. Juli), Brahms (11. Juli), Beethoven (13. Juli), dazu die moderat moderneren von Korngold (5. Juli) und Bruch (14. Juli), interpretiert unter anderem von Vadim Gluzman und Renaud Capuçon. Bei Beethovens Violinkonzert dürfte ein Hauch durch die Kirche St. Mathieu, dem zum Konzertsaal umfunktionierten Sakralbau, ziehen: Es wird gespielt von dem 2001 in Stockholm geborenen Daniel Lozakovitj.
Mit Heifetz als Geehrtem liegt es nahe, dass andere Instrumente solistisch in diesem Jahr in den Hintergrund treten. Einen Abend allerdings sollten sich Klavierfreunde in den Terminkalender schreiben: Am 7. Juli gibt der Pianist Grigori Sokolow, mittlerweile ebenfalls ein Stammgast in Colmar, einen Soloabend mit Werken von Schumann und Chopin. no
Karten zwischen 8 und 60 Euro sowie das ausführliche Programm gibt es im Internet unter <%LINK auto="true" href="http://www.festival-colmar.com" text="www.festival-colmar.com" class="more"%> , E-Mail: infofestival@tourisme-colmar.com

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