Nur ein Hauch von Nostalgie

Trier · Ein Ex-Generalmusikdirektor, der als Gastdirigent zurückkehrt: Spannend war das zweite Trierer Sinfoniekonzert mit Reinhard Petersen jedenfalls. Eine Nostalgie-Veranstaltung sicherlich nicht - trotz des konventionellen, klassisch-romantischen Programms.

Ein voll besetztes Theater, die ehemalige, fast schon historische Konzert-Klientel auf den Plätzen, dazu gleich drei Ex-Kulturdezernenten und ein ehemaliger Bundestagsabgeordneter - das 2. Sinfoniekonzert hätte eine gepflegte Nostalgie-Gala werden können. Reinhard Petersen sorgte dafür, dass es nicht dazu kam. Petersen, einst Generalmusikdirektor in Trier und einige Jahre dazu Intendant, entfaltete an dem eher konventionellen, klassisch-romantischen Programm seinen persönlichen, gänzlich unglamourösen Dirigierstil - deutlich, schnörkellos, allürenfrei und dabei von enormer Intensität. In Beethovens Ouvertüre "Leonore II" dehnt er die Pausen zwischen den einleitenden Akkordschlägen und baut damit eine Spannung auf, die sich weder im kantablen Seitenthema noch im motivischen Kleinklein der Durchführung verliert: ein Musikdrama, kein Konzertstück. Und nach dem Trompetensignal, das im zugehörigen "Fidelio" die Ankunft des Ministers ankündigt, bricht im Orchester ein Befreiungsjubel aus, der gerade in seiner Strenge und Disziplinierung tief bewegt.

Mag sein, dass Reinhard Petersen in Carl Maria von Webers Es-Dur-Klarinettenkonzert die biedermeierlichen Anklänge zu entschieden beiseite ließ. Mit Wenzel Fuchs stand indes ein Solist auf dem Podium, der alles mitbringt: straffe Brillanz, die spielerische Gefälligkeit, die in diesem Konzert mitschwingt - und vor allem einen schwer übertrefflichen Nuancenreichtum. Im langsamen Mittelsatz verband sich sein schattierungsreicher Ton mit der unsentimentalen Lyrik bei Dirigent und Orchester zu einer traumhaften Nachtmusik, eine romantische Mozart-Erinnerung - dicht, warm, kantabel und von überwältigendem Reichtum.

Ein straff gespannter Ausdrucksbogen



Und dann die Dritte von Johannes Brahms. Man kann diese Musik, die im Todesjahr Richard Wagners einen neuen, ganz eigenen Akzent gegen alle Wagnerei setzt, auch anders verstehen als Reinhard Petersen: gelassener, näher an Kammermusik, Serenade und Chorgesang. Petersen dagegen ließ breit und schwer musizieren, beschwor nachdrücklich das Pathos in der Partitur.

Von den ersten, weit ausholenden Bläser-Akkorden und Streicher-Linien an atmete diese Interpretation kompromisslose Energie - ein straff gespannter Ausdrucksbogen bis zu den halb melancholischen Nachklängen am Schluss. Der zweite Satz entfaltete eine fast religiöse Inbrunst, den dritten entwickelten die Philharmoniker zum weit ausschwingenden Gesang. Sie waren ganz nah an den Zeichen des Dirigenten. Und musizierten mit einer Wachheit und Präsenz, die unvermittelt überspringen.

Dankbarer Beifall. Martin Görg vom Orchestervorstand überreichte ein Präsent. Und unter den Besuchern verbreitete sich leise Wehmut. "Die anderen kann man ja vergessen", sagte jemand und meinte damit die Dirigenten nach der Ära Petersen. Das ist falsch, und ungerecht zudem. Aber eins gilt: Im Zeitalter allgemeiner Crossover-Beliebigkeit wirkt Petersens stringenter Musizierstil wie eine sanfte Mahnung.

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