Öffentliche Verdauung als Kunstform

Er ist immer für einen Skandal gut. Diesmal wird es sogar richtig anrüchig. Wim Delvoye und seine weltberühmten Verdauungsmaschinen "Cloaca" sind zum Ende des Kulturjahres im Luxemburger Casino zu Gast.

 Maschinelle Verdauung: Dieses Gerät wird mit Essen gefüttert und verarbeitet dies zu Kot. TV-Foto: Eva-Maria Reuther

Maschinelle Verdauung: Dieses Gerät wird mit Essen gefüttert und verarbeitet dies zu Kot. TV-Foto: Eva-Maria Reuther

Luxemburg. "Wer scheißt denn da so lange?" - der Hauptmann von Köpenick tut es für die Literatur, Wim Delvoyes "Cloaca" für die Bildende Kunst. Nachdem der belgische Bürgerschreck vom Dienst Schweine tätowiert und gotische Lastwagen gebaut hat, geht er jetzt an die Substanz. Schlicht "Shit" produzieren seine sieben Verdauungsmaschinen, die derzeit im Casino Luxemburg ausgestellt sind. Ein Schelm, wer da nicht denkt, das könnte als Abbild dieser Welt gemeint sein. Wer darob die Nase rümpft, riecht allerdings zu kurz. Spätestens seit der Italiener Piero Manzoni Kot als Vollkonserve verpackte, um die Freiheit der künstlerischen Mittel zu demonstrieren, ist das Thema künstlerisch salonfähig. Schon lange faszinieren den 42-jährigen Konzeptkünstler die rückwärtigen Ausscheidungen. Inzwischen hat es die Baureihe "Cloaca 2000-2007" mit Hilfe von Ingenieuren und Naturwisschenschaftlern auf acht gut funktionierende Maschinen von "Mini bis Turbo" gebracht. Zum Projekt gehören ein Labor, durch dessen Mikroskope man die unterschiedlichen Stationen der Cloaca Karawane verfolgen kann und jede Menge Konstruktionszeichnungen.Maschinelle Kostverwerter

Klinisch steril wirken die Maschinen mit ihrem Edelstahl, ihren Glasgefäßen und Schläuchen. Dass einige an Waschmaschinen erinnern, ist schlüssig. Die Ausscheidungen der maschinellen Kostverwerter werden übrigens eingefroren, fein säuberlich in Tütchen verschweißt und als Sammelobjekte angeboten. Dem Vernehmen nach soll Delvoye dank der großen Nachfrage schon eine Warteliste führen. Füttern der Verdauungsmaschinen ist Besuchern verboten. Das besorgen neun Luxemburger Gastwirte mit einem Tagesgericht. Verdaut wird dann öffentlich. Technikfreaks mögen die High- Tech-Stoffwechsler begeistern. Erheblichkeit bekommt das Projekt allerdings erst durch seinen Witz und seine satirische Qualität. Ob Delvoye nun seinem anrüchigen Geschäft das feine Label des Duftklassikers Chanel No.5 verpasst oder seine "Analküsse" als Lippenstift-Abdrücke auf dem Briefpapier der führenden Hotelketten versendet: Delvoye rempelt, rüpelt und rülpst in geradezu barocker Manier, aber meist mit Geist und Durchblick. Publikum, Werbewunderwelt und Kunstbetrieb bekommen dabei ihr Fett ab. "Kaufen Sie unseren Shit und geben Sie Ihrem Heim mit einem Stück moderner Kunst einen neuen Touch", wirbt ein Meister Proper ohne Unterleib, dem die Gedärme heraushängen im Spot an der Wand. Der reduzierte Strahlemann aus der Haushaltsreiniger-Werbung ist überhaupt Frontmann des künstlerischen Selbstreinigungsprojekts. Er ist auch in den neubarocken Eingangstoren präsent, die Delvoye als Entrée für sein Abführparadies entworfen hat. Ihnen stinkt schon längst alles? Dann sind Sie bei "Cloaca 2000-2007" richtig. Bis 6.1.2008, Mo, Mi, Fr 11-19 Uhr, Do11-20 Uhr, Sa, So, Feiertag 11-18 Uhr, Di geschl.

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