Ohne Schnickschnack

LUXEMBURG. (DiL) Mit Benjamin Brittens Oper "The Rape of Lucretia" gibt die English National Opera London erstmals ihre Visitenkarte am neuen "Grand Théâtre" in Luxemburg ab - und sorgt für Begeisterung.

Dass alle Orchestermitglieder bei einem Gastspiel im Programmheft aufgeführt sind, kommt im Opern-Gewerbe eher selten vor. Warum das bei den Musikern der English National Opera in dieser Aufführung anders ist, wird schon nach wenigen Minuten klar. Immer wieder ist man versucht, mitten in der Vorstellung aufzustehen, um sich davon zu überzeugen, dass da unten im Orchestergraben tatsächlich nur zwölf Musiker spielen. Ausgefeilt ist das Klangbild, filigran sind die dynamischen Wechsel, und die Britten'sche Tonsprache, von aufgeraut bis romantisch, wird enorm plastisch wiedergegeben. Einem feinen Instrumental-Ensemble steht Dirigent Paul Daniel da vor. Die Bühne steht dem Graben nicht nach. Regisseur David McVicar erzählt mit nie nachlassender Spannung die Geschichte von der Römerin Lucretia, deren Tugendhaftigkeit den etruskischen Prinzen Tarquinius derart erregt, dass er sie vergewaltigt. Die Regie bettet Lucretias im Suizid endende Tragödie in eine düstere Analyse männlicher Verhaltensweisen ein. Junius, der machtgeile römische General, nutzt den Macho-Wahn des Tarquinius clever aus und opfert Lucretia ohne den Anflug eines schlechten Gewissens. Dagegen hat die Liebe Lucretias zu ihrem Mann Collatinus nicht den Hauch einer Chance. Geschickt nutzt McVicar die Form der antiken Tragödie. Der Zwei-Personen-Chor (vorzüglich besetzt mit Timothy Robinson und Orla Boyan) wirkt als Klammer, treibt mal das Geschehen voran, um dann wiederum das allgemeine Entsetzen widerzuspiegeln. Das Bühnenbild (Yannis Thavoris) ist atmosphärisch dicht und schnörkellos. Ein Blütenbett, ein Wasserlauf, Uniformteile als Requisiten: Es braucht keinen Schnickschnack, um Emotionen zu erzeugen. Geschicktes Licht lässt den Raum, je nach Szene, offen und hell oder klaustrophobisch-eng wirken. Wogegen auch diese Inszenierung etwas mühsam anspielt, sind die schwülstigen Texte Brittens und der religiös-verquaste Erlösungsschluss mit integrierter Moral. Aber diese Einwände verblassen gegen die vorzügliche Besetzung.Bemerkenswert hohes sängerisches Niveau

Sarah Conolly ist eine anrührende Lucrezia, Christopher Maltman ein zerrissener, letztlich seinem Trieb nachgebender Tarquinius. Das sängerische Niveau ist bei allen Beteiligten bemerkenswert hoch. Der Luxemburger Intendant Frank Feitler beweist einmal mehr ein gutes Händchen, was die künstlerische Qualität seiner Gastspiele angeht. Das Luxemburger Publikum muss sich indes an die anspruchsvolle Kost wohl noch gewöhnen: Der Saal war eher schütter besetzt - der Beifall allerdings um so intensiver. Letzte Vorstellung am Sonntag, 23. November, 20 Uhr. Karten: 00352/4708951 oder Abendkasse. Infos: www.theater-vdl.lu

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