Oper im Kopf

TRIER. (DiL) Das jährliche Stipendiaten-Konzert des Richard-Wagner-Verbandes hat sich zur festen "Hausnummer" im Trierer Musikleben entwickelt.

Selbst Fensterbänke und Heizkörper wurden zeitweilig als Sitzplätze genutzt, um dem Andrang im Rokokosaal des Kurfürstlichen Palais standzuhalten. Das Dank-Konzert der jungen Sänger, denen der Trierer Wagner-Verband einen Studienaufenthalt bei den Bayreuther Festspielen ermöglicht, hat ein treues Stammpublikum - und das nicht nur, weil es zu den raren Musikereignissen gehört, denen man auch ohne Entrichtung eines Eintrittspreises beiwohnen kann. Stipendiatenkonzerte bieten normalerweise hochkarätige, aber noch ungeschliffene musikalische Diamanten. Die von der Wagnerianern geförderten Sänger - übrigens im seltensten Fall klassische "Wagner-Stimmen" - sind dagegen meist ausgereifte Profis mit bemerkenswerten Perspektiven. Allen voran die Entdeckung des Abends: Der schön timbrierte, kraftvoll-kultivierte Bass von Daniel Dimitrov. Wenn er so gut spielt wie er singt, dann wächst da ein Verdi-Tieftöner für die ganz großen Häuser heran, differenziert in den Ausdrucksformen, souverän in der musikalischen Gestaltung, ausgestattet mit dramatischer Verve, aber auch balsamischer Schönheit. Sein erstes Gastspiel in Trier sollte nicht sein letztes gewesen sein. Für Frauenstimmen ist die Akustik im Kurfürstlichen Palais nicht ohne Tücken. Der Rokoko-Saal hilft bei Piani und leichten, liedhaften Tönen, aber er lässt ein Opern-Fortissimo in den hohen Lagen leicht ins Schrille umkippen. Keine leichte Aufgabe also für Eva-Maria Günschmann und Anette Johansson von der fabulösen Damen-Riege des Trierer Theaters. Um so bemerkenswerter, wie beide Sängerinnen mit profilierten Beiträgen außerhalb des Gassenhauer-Repertoires das Publikum verzaubern. Günschmanns markanter Mezzo beweist mit Faurés Lied "Nell" und der Margareten-Arie aus Berlioz' Faust-Oper eine ausgeprägte - und hoffentlich irgendwann auch auf der Trierer Bühne zu bewundernde - Affinität zum französischen Repertoire. Johansson zelebriert mit einfühlsam interpretierten, lyrischen Arien aus Smetana- und Dvorak-Werken eine Art "Oper im Kopf", ohne Bühne und Bilder, aber so anschaulich, als sähe man die traurige, weil verkaufte Braut oder die sehnsüchtig den Mond ansingende Nixe Rusalka vor sich. Der Vierte im Stipendiaten-Bund ist an diesem Abend der junge Luxemburger Benoit Delvaux, ein beweglicher Bariton, der in den eleganten Gefilden eines Donizetti oder im fein gestalteten Liedgesang eher zu Hause ist als in Carmens Stierkampf-Arena. Insgesamt eine luxuriöse, von Hans-Günther Lanfer souverän moderierte Veranstaltung, die sich der Trierer Wagner-Verband nicht zuletzt deshalb leisten kann, weil er einen hervorragenden Klavierbegleiter nicht irgendwo aus dem Lande einfliegen muss, sondern gleich in seinem Vorstand sitzen hat: Jochen Schaaf erweist sich einmal mehr als variabler, in allen Sätteln gerechter Mitgestalter am Flügel.

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