Oper von einem anderen Stern

HAMBURG. Einen Triumph feierte der aus Trier stammende Bariton Franz Grundheber am Sonntag in der Titelrolle der selten gespielten Verdi-Oper "Simon Boccanegra". Das Publikum in der Staatsoper Hamburg bejubelte aber auch die weiteren musikalischen Akteure und die psychologische Feinarbeit von Regisseur und Ausstatter.

In Hamburg führt an Franz Grundheber derzeit kein Weg vorbei. Schon deshalb, weil er dem Betrachter in jeder U-Bahn-Station ins Auge springt: Ein Mann, der mit dem Ausdruck höchster Verwirrung einem Regen von Glassplittern entgegenstarrt, der aus einem imaginären Himmel auf ihn niedergeht. Das Plakatmotiv ist klug gewählt, weil es auf packende wie passende Weise für eine hoch intelligente Inszenierung wirbt. "Simon Boccanegra" war ein Schmerzenskind von Verdi, an dem er ewig "herumdokterte", bis er jenen ungemein düsteren Glanz entwickeln konnte, die tiefe Melancholie, die es von allen anderen seiner Werke unterscheidet. Die Oper hat nichts Gefälliges, ist vielleicht deshalb nie richtig populär geworden, vielleicht auch wegen der konfusen, Zeitebenen und Identitäten wechselnden Handlung. Viele Regisseure scheiterten am Versuch, die Geschichte um den Dogen von Genua, der an Intrigen und Machtkämpfen stirbt, aber nicht zerbricht, realistisch nachzuerzählen. Claus Guth versucht es erst gar nicht. Seine Handlung beginnt mit dem Ende Boccanegras, läuft - manchmal sogar buchstäblich - rückwärts ab, zeigt Flashbacks aus dem Leben eines Sterbenden. Und das Patchwork wird Stück für Stück zu einem stimmigen Psychogramm, das den Zuschauer packt, rüttelt, rührt, mitfiebern lässt. Das geniale Bühnenbild von Christian Schmidt ist Oper von einem anderen Stern: Der Bühnenraum wird scheinbar begrenzt von einem riesigen Spiegel, hinter dem sich aber ein weiteres Spielfeld verbirgt, eine Projektionsfläche für Träume und Erinnerungen. Für Grundheber/Boccanegra gibt es Doubles, so dass er bei seinen rasenden Reminiszenzen mal Mitspieler, mal Beobachter ist. Kafkaeske Bilder. Das Zusammentreffen von Guth und Grundheber ist ein Glücksfall für beide Seiten. Der Bariton, stimmlich unverändert ein Phänomen an Klang und Präzision, erdet die gedanklichen Höhenflüge des Regisseurs, bringt Menschlichkeit in die (psycho-)analytische Kühle der Regie. Im Gegenzug öffnet Guth ihm reichlich Gestaltungsfläche. Grundhebers Simon: Ein Schmerzensmann von Anfang an, zu Boden gedrückt von Schicksalsschlägen von der Wucht eines Meteoriten - der dann auch symbolträchtig im Dogenpalast einschlägt. Und doch verfällt er nicht dem Hass, kämpft bis zuletzt, schon vom Gift geschwächt, um seine Vision von Frieden und Vernunft. Die Besetzung ist rundum vorzüglich. John Tomlinsons nachtschwarzer Bass adelt Boccanegras Gegenspieler Fiesco, Miroslav Dvorsky singt einen kraftvollen Gabriele, Jan Buchwald glänzt als Verräter Paolo. Die Entdeckung des Abends ist die junge Chilenin Angela Marambio, deren voluminöser Sopran alles überstrahlt, die aber auch umschalten kann auf eine kultivierte Innigkeit. Umwerfend das Orchester unter Dirigentin Simone Young, das die dunkle Grundfarbe ebenso trifft wie die emphatischen Ausbrüche, und das in den Massenszenen mit dem Chor eine atemberaubende Intensität entwickelt. Man sollte es gehört und gesehen haben. Vorstellungen: 12., 16., 19., 22., 25. Februar; 1., 4. März. Info: www.staatsoper-hamburg.de

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