Perfektion, die unter die Haut geht

Luxemburg · Mit "Die Frau und die Stadt" bringen die Trierer Theatermacher Johannes Conen und Martina Roth ihre Form des Bewegtbildtheaters zur Perfektion: Die Uraufführung im Luxemburger Kapuzinertheater hat das Publikum beeindruckt. Die Trierer Uraufführung gibt es im Oktober in der Europäischen Kunstakademie.

 Martina Roth agiert bei der Uraufführung von „Die Frau und die Stadt“ als Schauspielerin live auf der Bühne (rechts). Parallel interagiert sie mit ihrem auf die Leinwand projiziierten Ich. Foto: Alexandra Prischedko

Martina Roth agiert bei der Uraufführung von „Die Frau und die Stadt“ als Schauspielerin live auf der Bühne (rechts). Parallel interagiert sie mit ihrem auf die Leinwand projiziierten Ich. Foto: Alexandra Prischedko

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Luxemburg. Was sind fünf Minuten Todesangst gegen ein ganzes Leben in Todesangst? Gertrud Kolmar steigt die Berliner Siegessäule hinauf, Stufe für Stufe, um der Hoffnungslosigkeit und Bedrängung ein Ende zu setzen. Ein Abschied vom Leben, aber auch ein Abschied von ihrer geliebten Stadt Berlin. Die Autorin Gerlind Reinshagen hat mit ihrer Erzählung "Die Frau und die Stadt" eine beklemmende Innensicht dieser fiktiven Nacht im Leben der jüdischen Dichterin geschrieben, die der Ausgangspunkt ist für die jüngste Produktion des Trierer Bewegtbildtheaters um Szenograph Johannes Conen und Schauspielerin Martina Roth.
Die beiden haben das Bewegtbildtheater vor fast zehn Jahren "erfunden", als sie auf der Suche nach einer neuen künstlerischen Theaterform waren. Es fügt dem Bühnenspiel der Schauspielerin Martina Roth eine zweite Ebene hinzu: Auf einer Leinwand treten weitere Martinas auf, agieren untereinander und mit der Schauspielerin auf der Bühne. Diese Art von Theater wird mit "Die Frau und die Stadt" zu einer Perfektion gebracht, die bislang unerreicht ist: Die Ebenen von Ton, Video, Spiel, Sprache und Bühne weben sich so selbstverständlich ineinander, dass das Gerüst der Form unsichtbar wird: künstlerische Perfektion, die den Zuschauern von der ersten bis zur letzten Minute merklich unter die Haut ging. Die Sprache von Gertrud Reinshagen schneidet scharf wie ein Skalpell und findet im präzisen und dichten Spiel von Martina Roth ihren Resonanzkörper. Am Ende wird sie nicht gesprungen sein, sondern hinabgestiegen. Um zu leben, um zu schreiben.
Den Tod brachten ihr wenig später die Nationalsozialisten: Sie wurde noch im selben Jahr in Auschwitz ermordet. Das sichtbar beeindruckte Publikum bedankte sich mit langem Applaus für diese ergreifende Vorstellung. ksch

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