Pfa(n)dfinder in Uniform

Trier · Im Rahmen der Lesereihe "Die Humorprofis" ist Wladimir Kaminer, Autor des auch verfilmten Buchs "Russendisko", in die Tufa Trier gekommen. Im Gepäck jede Menge Geschichten, begeisterte er rund 220 Zuschauer lesend und erzählend als quirliger Alleinunterhalter.

 Als sprudelnder Erzähler reißt Wladimir Kaminer sein Publikum in der Tufa mit. TV-Foto: Anke Emmerling

Als sprudelnder Erzähler reißt Wladimir Kaminer sein Publikum in der Tufa mit. TV-Foto: Anke Emmerling

Trier. Dass der Moderator verhindert und damit das übliche Interview hinfällig ist, trübt den Genuss der aktuellen "Humorprofiausgabe" nicht. Denn mit dem gebürtigen Moskauer Wladimir Kaminer stürmt ein Mann die Bühne, der so viel Temperament und Material mitbringt, dass es mühelos für Nächte lange Unterhaltung reichen würde. Den Draht zum Publikum stellt er im Bruchteil einer Minute her, indem er an seinen letzten Auftritt in Trier mit dem Schrebergartenbuch erinnert.
Dann beginnt aber nicht etwa die angekündigte Lesung, sondern das, was den Reiz des Abends maßgeblich prägt, erzählerisches Abschweifen. Den Garten habe er abgeben müssen, weil anders als in den nach deutscher Art bewirtschafteten Nachbargärten Probleme mit "spontaner Vegetation" aufgetreten seien, berichtet er. Einige Anekdötchen später erfahren die Zuhörer, dass Kaminer nun in Brandenburg einen neuen Garten und bei den "gefühlten drei Einwohnern" des betreffenden Ortes auch großes Interesse an seiner Russendisko gefunden hat.
Damit ist er beim Thema, das für ihn seit dem Jahr 2000 Markenzeichen und Kassenschlager ist, und an das auch die erste der gelesenen Geschichten anknüpft. Die handelt von seinen Erfahrungen als Veranstalter einer Russendisko beim Kirchentag in Dresden und amüsiert wie alle folgenden dadurch, dass der Blick des Migranten realsozialistischer Herkunft deutsche Eigenheiten skurril erscheinen lässt. Ob es um aus russischer Sicht übertriebene Sicherheitsvorkehrungen geht, um uniformierte Pfa(n)dfinder, die ohne Alkohol, Tabak oder Musik, allein erleuchtet vom Glauben, zu tanzen beginnen. Oder ob das lediglich aus Anstarren bestehende Balzverhalten des deutschen männlichen Diskobesuchers mit dem heißblütigen Werben des Russen verglichen wird, immer gibt der Aufein anderprall der Kulturen die spezielle Würze. Klischees tauchen dabei oft auf, zum Beispiel die von der russischen Alkohol- und der deutschen Ordnungsliebe.
Aber sie werden mit Wohlwollen, Selbstironie und Warmherzigkeit serviert. Besonders gelungen in dieser Hinsicht ist ein Auszug aus dem neuem Buch "Onkel Wanja kommt", der mit philosophischen Anklängen sowohl anrührt als auch erheitert. Stark ist durchweg Kaminers Vortrag, lebendig, sprudelnd und mit prägnantem russischen Akzent. Ein extrem kurzweiliger Abend, der sogar mit Russendisko-Musik ergänzt wird und schließlich mit viel Applaus und einem leergefegten Büchertisch endet. ae

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