Poetischer Chronist deutscher Geschichte

Bitburg · Mit Friedrich Christian Delius erwartet das Eifel-Literatur-Festival im Juni einen der bedeutendsten Schriftsteller der deutschen Gegenwartsliteratur. Er wurde unter anderem mit der höchsten Literatur-Auszeichnung, dem Georg-Büchner-Preis, geehrt, weil er in seinen Werken wie kein anderer die Geschichte der deutschen Bewusstseinslage im 20. Jahrhundert erforscht hat.

Poetischer Chronist deutscher Geschichte
Foto: (g_kultur

Bitburg. Es ist 50 Jahre her, dass Friedrich Christian Delius erstes Buch, eine Gedichtsammlung mit dem Titel "Kerbholz", erschien. Der 1943 in Rom geborene und im hessischen Wehrda aufgewachsene Sohn eines evangelischen Pfarrers studierte damals Literaturwissenschaften in Berlin. Parallel schrieb er Lyrik oder dokumentarische Texte, in denen er den Zeitgeist der 1960er Jahre mit gesellschaftskritischen und satirischen Tönen spiegelte. Von 1964 bis 1967 war er Teilnehmer an den letzten Sitzungen der legendären Gruppe 47.
Eifel-Literatur-Festival 2016


Das von Hans Werner Richter initiierte und geprägte Schriftstellertreffen galt im In- und Ausland als repräsentatives Forum deutscher Literatur. Es diente gegenseitiger Kritik und der Förderung junger Literaten. Auch Günter Grass wurde durch eine Lesung dort schlagartig bekannt. Delius blieb seither fest im deutschen Literaturbetrieb verwurzelt. Er arbeitete nach seiner Promotion zum Doktor der Philosophie erst als Verlags-Lektor und ab 1978 als freier Schriftsteller. Seit den 1970er Jahren verfasste er hauptsächlich Romane, meist zu Themen aus der bundesdeutschen Geschichte, und wurde vielfach preisgekrönt. Noch heute ist er Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland, der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung sowie der Freien Akademie der Künste Hamburg.
Ein bequemer Autor ist er nie gewesen. In seinen frühen Jahren nahm er scharfsichtig, scharfsinnig und oft polemisch die Selbstgefälligkeit der durchs Wirtschaftswunder erstarkten Republik aufs Korn. Das brachte ihm zwei Verfahren, darunter den aufsehenerregenden "Siemens-Prozess", ein. Delius hatte 1972, zum 125-jährigen Firmen-Geburtstag von Siemens, die fingierte Festschrift "Unsere Siemens Welt" verfasst, in der er den Erfolg des Unternehmens über zwei Weltkriege und die Zeit des Nationalsozialismus zwar faktengestützt, aber bissig-antikapitalistisch karikierte.
Schadenersatz an Siemens


Siemens verklagte Delius auf Unterlassung. Nach drei Prozessjahren entschied das Gericht, dass die Dokumentarsatire zwar Kunst und somit strafrechtlich frei sei. Zivilrechtlich jedoch dürfe auch Kunst die Grundrechte anderer - hier das der freien Entfaltung der Firma Siemens - nicht verletzen. Die Verletzung sahen die Richter durch elf als unwahr eingestufte Detailbehauptungen (unter Tausenden im Buch) gegeben. Delius und sein Verlag wurden verurteilt, zwei Drittel der Prozesskosten und Schadenersatz zu zahlen, was ihrem finanziellen Ruin gleichkam.
Dennoch hat Delius nicht kapituliert und weiterhin kritisch die bundesrepublikanische Wirklichkeit seziert, gelegentlich mit prophetischem Weitblick. Schon 1984 nahm er in seinem Roman "Adenauerplatz" Szenarien der aktuellen Flüchtlingsproblematik vorweg. Und doch, so schildert es Delius in seinem "Selbstporträt mit Schimpansen", will er, der als Zehnjähriger bereits Dichter werden wollte, Fontane schätzt, alles Theoretische hasst und sich am "Schopf der eigenen Lyrik aus dem Sumpf" gezogen hat, nicht rein als politischer Literat wahrgenommen werden:
"Im Grunde wär ich gern ein Romantiker. Bin aber nun etikettiert als literarischer Chronist der Gegenwart, als politischer Autor gar, überdies geadelt von Literatur-Prozessen bis hoch zum Bundesgerichtshof. Ich staune manchmal darüber, eine gewisse politische Wachheit scheint offenbar nicht mehr selbstverständlich zu unserem Berufsbild zu gehören. In Deutschland steckt schnell in der sogenannten politischen Ecke, wer die Auswirkungen historischer Ereignisse auf die Gemütslage und das Verhalten von Subjekten und Figuren nicht vergisst, ja sogar poetisch mitdenkt. Als wäre nicht jede Liebesgeschichte mit gesellschaftlichen Banden beschwert."
Delius' neuestes Buch heißt "Die Liebesgeschichtenerzählerin". Mit diesem wird er am Freitag, 24. Juni, zum Eifel-Literatur-Festival ins Haus Beda in Bitburg kommen.
Extra

"Die Liebesgeschichtenerzählerin" von Friedrich Christian Delius erscheint erst am 11. März, deshalb hier nur eine kurze, auf den Verlagsinformationen basierende Inhaltsangabe: Rahmenhandlung ist die fünftägige Reise einer Frau Anfang des Jahres 1969. Sie fährt von Den Haag über Amsterdam nach Frankfurt. Dabei kommen ihr drei Liebesgeschichten aus Zeiten verschiedener Kriege in den Sinn. Es ist ihre eigene, die ihrer Eltern und die einer Vorfahrin während der napoleonischen Kriege. Sie möchte sie erzählen, verstrickt sich aber in den Verflechtungen der Leben. Da geht es um einen König, der die modernen Niederlande aufbaut, seine uneheliche Tochter, die in eine mecklenburgische Adelsfamilie gezwungen wird, ihren Urenkel, der als kaiserlicher U-Boot-Kapitän die roten Matrosen von Kiel überlistet und seine Tochter - die reisende Erzählerin selbst. In dem Roman verarbeitet Delius die Geschichte der eigenen Familie. ae Friedrich Christian Delius, "Die Liebesgeschichtenerzählerin", Rowohlt Verlag Berlin, 208 Seiten, 18,95 Euro.Extra

20 Autoren lesen beim Eifel Literatur-Festival in diesem Jahr, die ersten 14 Veranstaltungen gibt es von April bis Juli. Der TV stellt die Autoren und ihre Werke in den nächsten Wochen vor (in unserer Gesamtübersicht ist der Name des jeweiligen Autors blau gefettet). A bedeutet ausverkauft. Nele Neuhaus, Freitag, 15. April, 20 Uhr, Stadthalle Bitburg (A) Pater Anselm Grün, "Was der Seele gut tut", Donnerstag, 21. April, 20 Uhr, Aula der ehemaligen Hauptschule in Prüm (A) Dora Heldt, Freitag, 29. April, 20 Uhr, Forum, Daun Felicitas Hoppe, Dienstag, 3. Mai, 20 Uhr, Haus Beda, Bitburg Horst Evers, "Alles außer irdisch", Mittwoch, 11. Mai, 20 Uhr, Aula, Hauptschule Prüm Jan Weiler, "Im Reich der Pubertiere", Freitag, 13. Mai, 20 Uhr, Stadthalle Bitburg Leslie Malton, "Brief an meine Schwester", Freitag, 20. Mai, 20 Uhr, Aula, Hauptschule Prüm Giulia Enders, "Darm mit Charme", Samstag, 21. Mai, 20 Uhr, Stadthalle Bitburg Anne Weber, Dienstag, 24. Mai, 20 Uhr, Haus Beda, Bitburg Manfred Lütz, Donnerstag, 2. Juni, 20 Uhr, Aula der ehemaligen Hauptschule Prüm Ulla Hahn, "Spiel der Zeit", Freitag, 3. Juni, 20 Uhr, Haus Beda, Bitburg (A) Kirsten Boie, Freitag, 3. Juni, 10.30 Uhr, Aula St. Matthias-Gymnasium Gerolstein (A) Friedrich Christian Delius, Freitag, 24. Juni, 20 Uhr, Haus Beda, Bitburg Max Moor, "Als Max noch Dieter war", Freitag, 8. Juli, 20 Uhr, Cusanus-Gymnasium, Wittlich Literaturherbst: Bereits ausverkauft sind die Veranstaltungen mit Sebastian Fitzek (29. Oktober) und Anselm Grün (6. Oktober). Karten für alle Veranstaltungen gibt es im TV-Service-Center Trier, unter 0651/7199-996 sowie im Internet auf <%LINK auto="true" href="http://www.volksfreund.de/tickets" text="www.volksfreund.de/tickets" class="more"%> cweb

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