Poetisches aus Papier und Flechtwerk

Bitburg · Das Bitburger Haus Beda und seine neue Galerie wollen gleichermaßen Fenster zu alter wie zu neuer Kunst öffnen. Die Mischung macht es. Derzeit ist mit den Arbeiten von Silvia Schreiber und Susanne Thiemann ausgesprochen spannende Gegenwartskunst zu sehen.

 Gewebe, das vom Stuhl hinunter auf den Boden fließt: Susanne Thiemann mit ihrem „Pull Over Chair“. TV-Foto: Eva-Maria Reuther

Gewebe, das vom Stuhl hinunter auf den Boden fließt: Susanne Thiemann mit ihrem „Pull Over Chair“. TV-Foto: Eva-Maria Reuther

Bitburg. Alle alte Kunst war einmal zeitgenössisch, und alle zeitgenössische Kunst kommt aus der Tradition. Selbst wenn sie sich nur an ihr reibt oder sich gegen sie auflehnt. Das Bitburger Haus Beda in seiner Doppelfunktion als Fritz-von-Wille-Museum und Galerie ist ein idealer Ort, um im Ausstellungsbetrieb solche Zusammenhänge sichtbar zu machen.
Das geschieht derzeit eindrucksvoll in der aktuellen Gemeinschaftsausstellung der beiden Künstlerinnen Silvia Schreiber und Susanne Thiemann. Die beiden Bildhauerinnen aus München sind nicht nur international bestens ausgewiesen. Ihr Werk verbildlicht auch vorzüglich das Miteinander von klassischen gestalterischen Mitteln auf der einen und neuen Werkstoffen auf der anderen Seite - alles im Dienste zeitgenössischer Bildfindungen und eigenständiger Neuschöpfungen.

Japanische Tradition



Auch diesmal liegt das Gewicht der unbedingt sehenswerten Ausstellung im letzten Raum mit seiner gelungenen Inszenierung aus Silvia Schreibers Papierarbeiten und Susanne Thiemanns Korb- und Stoffskulpturen. Die 1956 in Mainz geborene Silvia Schreiber hat ein Bildhauerstudium absolviert und zudem ein Jahr in Japan verbracht. Ihre großen farbigen Papierfiguren nehmen nicht nur die uralte japanische Papierkunst-Tradition auf. Nach allen Regeln klassischer Bildhauerkunst ist ihre Oberfläche gestaltet und modelliert. Sie sind gleichsam Abgüsse aus Papier.
Nicht weniger fasziniert die Sinnbildlichkeit dieser Arbeiten. Schreibers Botschaft kommt leichtfüßig daher, ohne banal zu sein. Dem Luftzug ausgesetzt, hängen ihre Figuren mit Büroklammern zusammengehalten im Raum. Als Hintergrund dient ihnen ein ebenso fragiler, wandfüllender Scherenschnitt. Ein Vanitas-Bild von der Flüchtigkeit und Zerbrechlichkeit menschlichen Lebens, wie es zarter und dennoch eindringlicher nicht sein könnte.
Handfest, aber sensibel


Handfester im Material, aber nicht in ihrem Wesen sind Susanne Thiemanns sensible Arbeiten aus Korb und Stoffen. Die Künstlerin hat zunächst eine Korbflechterlehre gemacht. Grandios geht sie mit diesem Material um. Ihre Korbgewebe und Softplastiken erinnern auf den ersten Blick an zeitgenössische Frauenkunst wie etwa die von Eva Hesse. Damit allein wird man der Künstlerin allerdings nicht gerecht. Thiemanns geknautschte und gedrehte Korbskulpturen - die eindrucksvollste in kräftigem Rot - stellen Masse und Architektur in Frage, veräußern, was an Dynamik und Poesie in Form und Material steckt. Das tut auch ihre stärkste Arbeit. Ihr "Pull over chair" gleicht einer objektgewordenen Zeichnung, die überzogen wird von einem sich auflösenden Gewebe, das vom Stuhl hinunter auf den Boden fließt. Ein wunderbar malerisches Bild von der Unsicherheit der Bilder und der Auflösung als Grundbedingung für Erneuerung.
Die Ausstellung ist noch bis zum 20. November zu sehen. Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag 15 bis 18 Uhr, Samstag, Sonntag und an Feiertagen 14 bis 18 Uhr, montags geschlossen.

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