Polka aus dem Plattenbau

Gerolstein · 600 Leute im Gerolsteiner Lokschuppen erheben sich von ihren Sitzen und tanzen Polka. Der Familie Popolski liefert ein bisschen Kabarett und eine großartige Musikshow ab. Da geht so richtig die Post ab.

 Laut, schrill und irre komisch: Der Familie Popolski begeistert in Gerolstein. TV-Foto: Tobias Thieme

Laut, schrill und irre komisch: Der Familie Popolski begeistert in Gerolstein. TV-Foto: Tobias Thieme

Gerolstein. Er reißt sich den braunen Pullunder und das Karohemd vom Leib. Nimmt eine ausgiebige Wodkadusche. Und dann rockt er mit kantigen Gitarrenriffs den Gerolsteiner Lokschuppen. Ausgerechnet mit einer Hardrockversion von "Cheri Cheri Lady" besteht Janusz Popolski die Polkaprüfung vor seiner Familie. Und das Publikum tobt.
Zweieinhalb Stunden zuvor: Der Familie Popolski betritt vor 600 Zuschauern die Bühne im Lokschuppen, um ihre Geschichte zu erzählen und mit einigen Missverständnissen der Musikhistorie aufzuräumen. Die polnische Familie stammt aus dem schlesischen Plattenbauparadies Zabrze (gesprochen: Zabsche). Großvater Pjotrek trällerte einst auf dem Rückweg vom Pfarrfest im Nachbarort Pyskowice vor sich hin - nach 22 Gläsern Wodka auf das Wohl der Jungfrau Maria. Die kleine Melodie wurde zu einem lokalen Gassenhauer. Musikexperten finden sie später in nahezu allen Popsongs wieder.
Damit ist bewiesen: Opa Popolski hatte den Pop erfunden. Die folgenden Generationen der Familie schufen annähernd 128 000 zeitlose Werke - die ihnen aber von einem skrupellosen Gebrauchtwagenhändler gestohlen wurden, der sie an Bands aus dem Westen verhökerte. Unter ihnen sind Modern Talking, Michael Jackson oder Karat.
Viele Musik- und Tanzstile


Bandleader Pavel Popolski präsentiert nun mit seiner Sippe die Originalfassungen. Die Zwillinge Henjek und Stenjek in den viel zu großen Karo-Sakkos pusten ordentlich Funk in ihre Tröten, Mirek zerrt manisch an den Saiten seiner Dreifachgitarre, der schnauzbärtige Pavel prügelt rücksichtslos auf sein Schlagzeug ein, und Handwerker Bogdan bringt den Leuten vor der Bühne das Polkatanzen bei. Unterbrochen wird das Ganze nur ab und an von einer gewerkschaftlich vorgeschriebenen Wodkapause. Stimmung wie auf einer polnischen Hochzeit. Plötzlich ein Knistern in der Luft. Die rote Dorota, x-fache Miss Zabrze, bewegt sich im glitzernden Fischhautkleid von Dolski & Gabbanski lasziv über die Bühne, fährt sich mit dem Finger über den Kussmund und singt "Dance With Somebody" im Tangostil - ein Song, den Mando Diao einst gestohlen hatte. Sie ist "ein chammercharter Geschoss, der Schärfste von der Schärfste". Und eine schöne Stimme hat sie auch.
Ganz nebenbei kommt ans Licht, dass die Familie auch die Filme "Rambek" und "Apolkalypse" erfunden hat. Originelle Einfälle paaren sich mit ermüdenden Gags. Die Band tritt - mal liebevoll, mal überstrapazierend - die Klischees über das polnische Volk breit und schafft so den kabarettistischen Rahmen für ihr überzeugendes Musikprogramm.
Ob Reggae, Tango, Jazz, Hardrock oder Polka - jedes Bandmitglied bringt seine Stärken ein. Pavel alias Achim Hagemann (bekannt aus der Comedyserie "Total normal" mit Hape Kerkeling) war seit 2008 mit der pseudopolnischen Kapelle im Westdeutschen Rundfunk aufgetreten. Der schüchterne Janusz, Jüngster im Bunde, nimmt zum Ende der Show einen tiefen Schluck aus der Flasche. Dann macht er den hundertsten Versuch, die Polkaprüfung zu bestehen.

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